Erschienen in:
01.05.2023 | Demenz | Einführung zum Thema
Prävention von Demenzerkrankungen
verfasst von:
Prof. Dr. med. Steffi Riedel-Heller, MPH, Frank Jessen
Erschienen in:
Der Nervenarzt
|
Ausgabe 5/2023
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Auszug
In den letzten Jahren mehrten sich Befunde aus großen populationsbasierten Studien, dass die altersspezifischen Inzidenzen, d. h. die altersspezifischen Neuerkrankungsraten, von Demenzen in den westlichen Industrienationen sinken. Das heißt, dass heute im Alterssegment der 65- bis 70-Jährigen weniger Demenzfälle zu verzeichnen sind als beispielsweise vor 30 oder 40 Jahren [
6]. Dieser Befund, der durch Metaanalysen gesichert ist, überrascht auf den ersten Blick. Gleichwohl hat dieser Befund zwei wesentliche Implikationen. Anders als man denken könnte, bedeutet dies mitnichten Entwarnung für die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen von Demenzerkrankungen, denn die Menschen werden älter und mit dem Alter steigt das Risiko einer Demenzerkrankung. Mit der demografischen Entwicklung erwarten wir insgesamt eine Zunahme von Demenzfällen, die heute schon spürbar ist. In diesem Befund steckt aber auch eine weitere wichtige Botschaft. Offensichtlich gibt es Veränderungen in Risiko- und Schutzfaktoren, die die Inzidenz auf Bevölkerungsebene verändern. Das ist für die Prävention sehr interessant. Diese Befunde haben eine Wissensexplosion zu modifizierbaren Risiko- und Schutzfaktoren von Demenzerkrankungen ausgelöst und mittlerweile gibt es eine solide Datenlage zu dazu. Die Referenzarbeit der
Lancet Commission on Dementia Prevention, Intervention and Care [
4] hebt zwölf modifizierbare Risikofaktoren für kognitiven Abbau und Demenz hervor: geringe Bildung in der frühen Lebensphase, Hörverlust, Schädel-Hirn-Trauma, Bluthockdruck, Fettleibigkeit, übermäßiger Alkoholkonsum, Diabetes mellitus, Depression, Bewegungsmangel, Rauchen, soziale Isolation und Belastung durch Luftverschmutzung. Hochrechnungen zufolge ließen sich 40 % aller Demenzerkrankungen verhindern, wenn diese zwölf Risikofaktoren vollständig eliminiert würden. Weitere Faktoren wie Schlafmangel, Verkehrslärm und Hitzewellen oder Grün- und Erholungsflächen in urbanen Gebieten werden diskutiert. Man muss davon ausgehen, dass der nächste Report der
Lancet Commission das Demenzpräventionsmodell um einige Faktoren ergänzen wird. Insgesamt ergibt sich dadurch ein enormes Präventionspotenzial. Diese Wissensexplosion zu Risiko- und Schutzfaktoren führte letztlich zu zwei Entwicklungssträngen – zum einen zu Public-Health-Ansätzen und zum Vorschlag einer Brain-Health-Agenda [
3]; 2019 hat die WHO entsprechende Empfehlungen gegeben [
10]. …