Einleitung
Die Digitalisierung und die Nutzung digitaler Interventionen können das Gesundheitssystem positiv beeinflussen [
1,
2]. Für Jugendliche, die aufgrund ihrer intensiven Nutzung digitaler Instrumente als „digital natives“ gelten [
3,
4], bieten sich sehr gute Möglichkeiten, mithilfe digitaler Interventionen, Gesundheitskompetenz zu stärken. Insbesondere für Jugendliche mit chronischen Erkrankungen, wie Typ-1-Diabetes (T1D), ist eine hohe Gesundheitskompetenz von großer Bedeutung. Die Krankheit erfordert viel Wissen und Krankheitsmanagement, um kurz- und langfristige Komplikationen zu vermeiden. Es ist erforderlich, das Potenzial digitaler Interventionen weiter zu erforschen und zu implementieren, um die Gesundheitskompetenz zu stärken. Die digitalen Interventionen, wie z. B. E‑Health, Mobile Health, Messaging-Systeme, mobile Anwendungen, spielerische Unterstützung, soziale Plattformen oder Patientenportale [
5] können das allgemeine Diabetesmanagement unterstützen und dadurch die Gesundheitskompetenz stärken. Diese Notwendigkeit ergibt sich vor dem Hintergrund der geringen Gesundheitskompetenz bei Jugendlichen [
6,
7] und einer jährlichen Zunahme der Inzidenz und Prävalenz von T1D bei dieser Altersgruppe [
8,
9]. Die COVID-19-Krise („coronavirus disease 2019“) hat die Möglichkeiten der Nutzung digitaler Interventionen für Menschen mit Diabetes in Deutschland beschleunigt, z. B. die Ausweitung von Angeboten der Telemedizin, Online-Schulungen oder digitale Verfahren, die Kostenerstattungen ermöglichen [
10‐
12]. Im April 2023 endeten die gesetzlichen Grundlagen für die COVID-Schutzmaßnahmen [
13]. Es stellt sich nun die Frage, ob der Einsatz digitaler Interventionen auch nach der COVID-19-Pandemie als feste Konzepte in den Alltag der diabetologischen Versorgung integriert werden oder zu Nischenangeboten werden. Zwar verbessern sich die digitalen Interventionen kontinuierlich, dennoch findet man z. B. die Videokonsultation nur selten als reguläres Angebot in der Versorgung wieder [
13].
Das Ziel dieser Studie ist es, die Perspektiven von Jugendlichen mit T1D hinsichtlich des Einsatzes digitaler Interventionen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz mit den Ansichten der behandelnden Ärzt:innen zu vergleichen. Insgesamt bearbeitet die Studie die folgende Frage:
Methoden
Forschungsdesign
Der vorliegende Artikel untersucht und vergleicht zwei separate Primärstudien, die sich derzeit im Veröffentlichungsprozess befinden. Die erste Studie umfasst die Perspektiven von Ärzt:innen, die mit Jugendlichen mit T1D arbeiten. Die zweite Studie bezieht sich auf die Perspektiven von Jugendlichen mit T1D. Beide Studien untersuchen den Einsatz digitaler Interventionen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz. Der Vergleich der beiden Perspektiven zwischen den Primärstudien wird mittels einer inhaltlich strukturierender Inhaltsanalyse durchgeführt. Beide Primärstudien folgen den qualitativen Gütekriterien nach Tong et al. [
14].
Die präzise Darstellung methodischer Vorgehensweisen sowie die vollständigen Ergebnisdarstellungen der Primärstudien finden sich in den entsprechenden Veröffentlichungen. Aus diesem Grund wird die Methodik der beiden Studien an dieser Stelle lediglich zur Übersicht dargestellt, um eine Grundlage für den anschließenden Vergleich zu schaffen.
Stichprobe
Die Stichprobe der ersten Studie umfasste zwölf Ärzt:innen (8 Frauen und 4 Männer) im Alter von 33 bis 58 Jahren. Diese Ärzt:innen stammten aus 9 verschiedenen deutschen Krankenhäusern, die sowohl stationäre als auch ambulante Behandlungssettings umfassen. Alle Befragten hatten mindestens 2 Jahre Erfahrung in pädiatrischer Endokrinologie (durchschnittlich 15 Jahre). Die Stichprobe der zweiten Studie bestand aus 20 Jugendlichen mit T1D im Alter von 14 bis 18 (Durchschnittsalter 16) Jahren. Unter diesen Jugendlichen waren 8 Mädchen und 12 Jungen. Die Jugendlichen lebten im Durchschnitt seit sieben Jahren mit T1D. Das Geschlecht wurde aufgrund der Wahrnehmung der Forscherin (AN.N) klassifiziert.
Rekrutierung
Die Rekrutierung der Ärzt:innen fand zwischen Oktober 2022 und Januar 2023 statt. Der Zugang erfolgte über E‑Mails, die direkt an Ärzt:innen, in Kliniken oder Diabeteszentren geschickt wurden. Die Rekrutierung der Jugendlichen mit T1D erfolgte in zwei Phasen (November bis Dezember 2022 und Mai bis Juni 2023). In der ersten Phase wurden Flyer in Krankenhäusern und Diabeteszentren deutschlandweit verteilt, zudem wurden E‑Mails an verschiedene Zentren, Selbsthilfegruppen und Online-Foren versendet. Zusätzlich wurden Aufrufe in sozialen Netzwerken von Diabetes-Communities und Facebook-Gruppen platziert. Darüber hinaus wurden private Anfragen an T1D-Influencer sowie im erweiterten persönlichen Netzwerk der Erstautorin gestellt. In der ersten Phase wurden 2 Personen interviewt. In der zweiten Phase der Rekrutierung konnten vor Ort in einem pädiatrischen Diabeteszentrum 18 Jugendliche interviewt werden.
Erhebung
In beiden Studien wurden halbstrukturierte Leitfadeninterviews geführt. Die Dauer der Interviews war für beide Zielgruppen in etwa gleich (durchschnittlich 24 min). Das Studiendesign und der Interviewleitfaden beider Studien wurden von der Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover am 18. Oktober 2022 genehmigt. Die Datenerhebung erfolgte in der ersten Studie mit Ärzt:innen aufgrund der zu diesem Zeitpunkt noch aktiven COVID-19-Pandemie telefonisch oder per Videokonferenz. In der zweiten Studie mit Jugendlichen mit T1D wurden 18 Interviews vor Ort durchgeführt. Die Teilnehmer:innen erhielten keine Aufwandsentschädigung. Alle Informationen, die die Anonymität beeinträchtigen könnten, wurden aus den Transkripten entfernt. Die durchgeführten Interviews wurden aufgezeichnet und transkribiert. Die Teilnahme war für beide Zielgruppen freiwillig und unabhängig davon, in welcher Einrichtung sie arbeiteten oder behandelt wurden. Alle Teilnehmer:innen unterschrieben eine Einverständniserklärung zur Teilnahme und bei der Zielgruppe der minderjährigen Jugendlichen mit T1D wurde zusätzlich die Einverständniserklärung von einer/einem Erziehungsberechtigten unterschrieben.
Analyse
Eine inhaltlich strukturierende, qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz [
20] erfolgte mit Hilfe der MAXQDA-Software (2022) (VERBI Software GmbH, Berlin, Deutschland). Basierend auf den Ergebnissen eines systematischen Reviews zu digitalen Interventionen bei Jugendlichen mit T1D [
15] wurde je Studie ein induktiv-deduktives Kategoriensystem entwickelt. Beide Studien erfüllen die Kriterien der Validität und Reliabilität. Die erste Studie weist eine Intercoder-Reliabilität von 80 % (AN.N & N.F) auf und in der zweiten Studie wurde eine Konsensualisierung von 100 % (AN.N & N.F) des gesamten Datenmaterials vorgenommen [
16].
In dieser aktuellen Studie wurde der Vergleich folgendermaßen durchgeführt: Es wurden zwei Themen ausgewählt, die in der Analyse der beiden Primärstudien als am relevantesten und kontroversesten interpretiert wurden. Die Analysegrundlage bildet die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz [
16], die für beide Primärstudien separat durchgeführt wurde.
Ergebnisse
Im Vergleich der beiden Datensätze heben sich zwei dominierende Themen ab. Diese Themen umfassen 1) die Peer-to-peer-Beziehungen, d. h. Beziehungen zu Gleichaltrigen mit T1D und 2) die Kommunikation und Interaktion zwischen den Jugendlichen mit T1D und den Ärzt:innen.
Peer-to-peer-Beziehungen
Alle Ärzt:innen sind sich einig, dass Peer-to-peer-Beziehungen zwischen Patient:innen mit T1D notwendig sind. Erstens, weil Ärzt:innen aus Zeit- und Ressourcengründen nicht alle nützlichen Informationen weitergeben können. Zweitens, weil sie vermuten, dass Informationen, die von Peers kommen, eher gehört und aufgenommen werden als von Erwachsenen bzw. Ärzt:innen. Dies gilt auch für den Austausch über persönlichere oder emotionale Themen. Die Perspektive von Ärzt:innen bezüglich der Nutzung digitaler Interventionen für Peer-to-peer-Beziehungen ist jedoch sehr unterschiedlich: Einige Befragte haben den Eindruckes, dass Jugendliche nicht aktiv online nach Peers suchen, sondern Beziehungen entstehen vielmehr bei persönlichen Treffen. Andere Ärzt:innen vermuten, dass es für Jugendliche einfacher ist, online Kontakte zu knüpfen.
Die Meinungen über den Stellenwert von Peer-to-peer-Beziehungen bei Jugendlichen sind heterogener als die der Ärzt:innen. Bei den meisten Jugendlichen besteht selten eine Kontaktaufnahme mit einer anderen Person gleichen Alters mit T1D. Dies ist unabhängig davon, ob digitale Interventionen genutzt werden oder nicht. In den meisten Fällen werden bei bestehendem Kontakt keine emotionalen Themen besprochen oder Informationen ausgetauscht. Der Austausch mit Peers, z. B. Mitschüler:innen, bezog sich eher auf oberflächliche Themen oder den Vergleich der verwendeten Technologien (z. B. Pumpen, Sensoren etc.). Die Gründe dafür sind einerseits mangelndes Interesse an Krankheitsgeschehen anderer Jugendlicher. Andererseits berichten Jugendliche, dass sie niemanden mit derselben Erkrankung kennen und nicht wissen, wie sie andere Jugendliche im Präsenz- oder Online-Kontakt kennenlernen können. Zudem teilen Jugendliche mit T1D mit, dass Online-Foren oder Peer-to-peer-Kontakte (über digitale Interventionen und ohne digitale Interventionen) eher für die Eltern relevant sind.
Ärzt:innen und Jugendliche mit T1D berichten über mangelndes Wissen bezüglich bestehender Plattformen. Dadurch haben Ärzt:innen Schwierigkeiten, Empfehlungen auszusprechen und Jugendliche berichten, dass sie keine Informationen von Ärzt:innen darüber erhalten, wie und wo Peer-Kontakte möglich sind. Für Jugendliche werden neben Peer-to-peer-Beziehungen auch andere Formen von Kontakten als allgemeine Unterstützung und Informationsvermittlung betrachtet. Die Rolle der Peers wird dabei als Vergleich herangezogen. Dazu gehören Vorbilder mit T1D, wie beispielsweise Influencer:innen in sozialen Medien, Familienmitglieder wie Eltern oder Cousin:en, die mit der Krankheit vertraut sind, Lehrer:innen, externe Hilfen wie Familienhelfer:innen oder enge Freund:innen, die zwar nicht selbst von T1D betroffen sind, aber die Situation der betroffenen Person durch die engere Freundschaft gut kennen.
Die Sorge der Ärzt:innen besteht in der Gefahr von Falschinformationen aufgrund mangelnder Kontrolle durch Fachleute. Das spiegelt wieder, was die Jugendlichen berichten: Die aufgefundenen Informationen, z. B. von Influencer:innen, werden nur sporadisch überprüft. Ärzt:innen wünschen sich dadurch, dass die Jugendlichen besser wissen, welche Quellen und Informationen vertrauenswürdig sind und welche nicht. Zudem sollten die Jugendlichen den Umgang mit digitalen Interventionen erlernen. Mit diesen Äußerungen beschreiben Ärzt:innen auch den Wunsch nach einer Förderung von digitaler Gesundheitskompetenz bei den Jugendlichen.
Kommunikation und Interaktion
Aus der Perspektive von Ärzt:innen ist der Einsatz digitaler Interventionen in der Kommunikation und Interaktion zwischen Ärzt:innen und Jugendlichen mit T1D für die Sprechstunden selten. Während einige Ärzt:innen der Meinung sind, dass die COVID-19-Pandemie den Einsatz digitaler Interventionen wie z. B. Videosprechstunde beschleunigte und neue Möglichkeiten der Kommunikation und der Annäherung an die Jugendlichen mit T1D eröffnet hat, begrüßen andere Ärzt:innen das Ende der Pandemie und die Rückkehr zum „normalen Alltag“ im Face-to-face. Die Nutzung wird zudem eingeschränkt, wenn Ärzt:innen z. B. nicht technikaffin sind oder wenn ihnen die materiellen Ressourcen fehlen. Manchmal werden auftretende technische Probleme als Hindernis angesehen, weil die Ärzt:innen keine Zeit haben, sich um technische Probleme zu kümmern und daher werden digitale Interventionen nicht genutzt.
Genauso wurde bei den Jugendlichen mit T1D festgestellt, dass der Einsatz digitaler Interventionen zur Kommunikation und Interaktion mit den Ärzt:innen für die Sprechstunde bis auf wenige Ausnahmen nicht vorhanden ist. Die Perspektiven von Jugendlichen mit T1D und Ärzt:innen bezüglich der Nutzung digitaler Interventionen unterscheiden sich. Bei Jugendlichen geht es nicht um materielle Ressourcen oder Technikaffinität, sondern um persönliche Vor- und Nachteile sowie Bedürfnisse in Bezug auf digitale Interventionen. Für einige Jugendliche ist die persönliche Kommunikation und Interaktion wichtiger und wird von Jugendlichen geschätzt. Manche finden hybride Optionen positiv: die notwendigen Termine vor Ort (z. B. Blutabnahmen), manche Termine wären aber auch telefonisch oder über Videokonferenz (z. B. Besprechung von Befunden) möglich. Andere wiederum bevorzugen komplette Online-Sprechstunden – insbesondere diejenigen, die weiter entfernt von ihren Behandler:innen wohnen.
Außerhalb der Sprechstunden findet eine Kommunikation und Interaktion zwischen Ärzt:innen und Jugendlichen mit T1D statt, insbesondere wenn Fragen von Betroffenen auftauchen. Im Allgemeinen werden Telefongespräche und E‑Mails als die beiden häufigsten Kommunikationsmittel außerhalb der Sprechstunden genannt. Bei den Ärzt:innen gehen die Meinungen zu diesem Thema jedoch auseinander. Einige sind der Meinung, dass dies bei Jugendlichen sehr gut funktioniert. Andere schlagen vor, dass weitere digitale Optionen hilfreich wären (z. B. Messengerdienste wie WhatsApp). Die Jugendlichen geben nicht an, dass sie E‑Mails oder Telefonate nutzen, um Termine zu vereinbaren, Fragen zu stellen oder Probleme zu kommunizieren. E‑Mails werden von den meisten Jugendlichen als unzuverlässig angesehen.
In der Kommunikation und Interaktion außerhalb der Sprechstunden spielen die Eltern eine wichtige Rolle, da diese häufig Telefonate als auch E‑Mails mit Ärzt:innen austauschen. Diese Feststellung ist unabhängig vom Alter der Jugendlichen und wurde von beiden Gruppen (Ärzt:innen und Jugendliche mit T1D) bestätigt.
Diskussion
Bezüglich der Wichtigkeit und Nützlichkeit der Peer-to-peer-Beziehung, zeigte die Studie mit Ärzt:innen, dass die Befragten einheitliche Meinung vertreten. Sie können beispielsweise bei der Übermittlung von Informationen oder als emotionale Unterstützung helfen. Für die Ärzt:innen wurden Peer-Beziehungen als effektiver angesehen als die von Erwachsenen oder Personen, die nicht von der Krankheit betroffen sind. Dies entspricht bisherigen Studien, die die Bedeutung von Peers unterstreichen, wie bspw. die positiven Effekte von Peer Beziehungen im Rahmen des Diabetesmanagements [
17,
18], während Effekte auf Selbstfürsorge und klinische Outcomes bisher nicht gefunden werden konnten [
19]. In der Studie mit Jugendlichen waren die Meinungen heterogener. Deckten sich manche Einstellungen der Jugendlichen mit denen der Ärzt:innen, so sahen andere keinen Nutzen in Peer-to-peer-Beziehungen.
Beide Studien zeigen eine deutliche, geringe Verwendung digitaler Interventionen in Peer-to-peer-Beziehungen. Sowohl Ärzt:innen als auch Jugendliche stimmten in verschiedenen Aspekten überein. Vor allem, dass sie nur wenig Kenntnisse über die Möglichkeiten von Plattformen oder sozialen Netzwerken haben, um mit Peers in Kontakt zu treten.
Auch in der Kommunikation und Interaktion zwischen Ärzt:innen und Jugendlichen mit T1D zeigen beide Studien eine geringe Verwendung digitaler Interventionen, sei es für die Sprechstunde oder zwischen den Sprechstunden. Die Literatur zeigt jedoch, dass neue Kommunikationspotenziale im Zuge der Digitalisierung einen positiven Einfluss auf die Effizienz und Qualität der Versorgung haben [
20]. Außerhalb der Sprechstunde zeigen die Ergebnisse beider Studien, dass hauptsächlich E‑Mails und Telefongespräche für die Kommunikation und Interaktion verwendet werden. Die Meinungen über die Effektivität dieser Kommunikation sind heterogen, und manche Ärzt:innen wünschen sich eine Entwicklung oder Intensivierung digitaler Interventionen für die Kommunikation und Interaktion zwischen Ärzt:innen und Jugendlichen. Dies wird in der Literatur als wesentlicher Bestandteil in der Betreuung von Menschen mit Diabetes angesehen [
11].
Um eine zielgerichtete Nutzung digitaler Interventionen zu intensivieren, muss das Konzept der patientenzentrierten Versorgung gestärkt werden [
21]. Beide Studien zeigen, dass die Bedürfnisse und Herausforderungen der Jugendlichen mit T1D im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Interventionen für Peer-to-peer-Beziehungen oder in der Kommunikation und Interaktion zwischen Ärzt:innen und Jugendlichen wenig berücksichtigt wurden. Die Studie mit den Ärzt:innen zeigt, dass Herausforderungen im Zusammenhang mit Technologien in Peer-Beziehungen oder in der Kommunikation und Interaktion oft auf Probleme seitens der Ärzt:innen zurückzuführen sind. Diese Probleme können auf eine geringe Affinität zur Technologie oder mangelnde Information zurückzuführen sein. Digitale Interventionen wie textbasierte Nachrichten über das Mobiltelefon, video- und webbasierte oder soziale Medien können positive Auswirkungen auf psychosoziale Aspekte und Gesundheitsergebnisse haben [
18]. Es ist wichtig, die persönlichen und spezifischen Bedürfnisse der Patient:innen zu berücksichtigen und in die Diabetesbetreuung zu integrieren. Positive Aspekte von Peer-Interventionen können insbesondere auf emotionaler Ebene liegen. Patient:innen werden ermutigt, zusätzliche Ressourcen zu suchen, mehr Vertrauen in die Bewältigung von T1D zu entwickeln und besser in der Lage zu sein, ihre Erfahrungen zu bewältigen [
22‐
24].
Es ist wichtig, auch weitere Bezugspersonen zu berücksichtigen, da einige Jugendliche nicht viele Peers haben, jedoch Bezugspersonen, die wie Peers wirken. Für Jugendliche werden diese weiteren Kontakte als allgemeine Unterstützung und für die Informationsvermittlung betrachtet. Diese sind beispielsweise Influencer:innen in sozialen Medien, Familienmitglieder wie Eltern oder Cousin:en die mit der Krankheit vertraut sind. Des Weiteren wurden Lehrer:innen, externe Hilfen wie Familienhelfer:innen oder enge Freund:innen von Jugendlichen genannt, die positiv auf die oben genannten Aspekte wirken.
Die unterschiedlichen Meinungen und Bedürfnisse der Jugendlichen zur Nutzung digitaler Interventionen für die Peer-to-peer-Beziehungen oder die Kommunikation und Interaktion unterstreicht die Notwendigkeit eines zielgerichteten und persönlichen Ansatzes für jeden einzelnen Jugendlichen im Zusammenhang mit der Verwendung digitaler Interventionen. Dazu ist es wichtig, den persönlichen Kontext und Einflussfaktoren zu analysieren und individuell digitale Interventionen vorzuschlagen. Die Nutzung von Technologie zur Peer-Unterstützung stellt eine potenziell machbare und kostengünstige Methode neben den formalen Gesundheitsdiensten dar [
25]. Die Förderung und Betreuung von Peers über digitale Technologien kann in einer patientenzentrierten Weise erfolgen, die den Bedürfnissen der betroffenen Personen entspricht [
26].
Die Partizipation von Jugendlichen für eine zielgerichtete Nutzung digitaler Interventionen kann zu einer verbesserten Zusammenarbeit führen und die Gesundheitskompetenz stärken. Eine strukturierte Zusammenarbeit und Beteiligung ermutigen Jugendliche, sich einzubringen, Ideen vorzuschlagen und gemeinsam zu arbeiten [
27]. Eine nahtlose Übergangsphase von Pädiatrie in der Erwachsenenmedizin wird vom Gesundheitssystem oft nicht ausreichend gewährleistet [
28]. Eine aktive Teilnahme von Jugendlichen an der Implementierung könnte dazu beitragen, sie besser auf diesen Übergang vorzubereiten. Beide Studien haben gezeigt, dass die Rolle der Eltern, insbesondere in Bezug auf die Kommunikation und Interaktion mit den Ärzt:innen, sehr präsent und unabhängig vom Alter des Jugendlichen ist. Um sich auf die Erwachsenenmedizin vorzubereiten, ist es wichtig, Jugendliche aktiv in Gesundheitsentscheidungen und die Nutzung digitaler Interventionen einzubeziehen, insbesondere in der Kommunikation und Interaktion mit ihren Ärzt:innen.
Diese vorliegende Studie weist Limitationen auf, die bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden sollten. Erstens basiert diese Vergleichsstudie auf zwei separaten qualitativen Primärstudien, deren Interviewleitfäden sich aufgrund der unterschiedlichen Zielgruppen ebenfalls unterscheiden. Daher können die Daten nicht vollständig übertragen werden. Zweitens beschränkt sich diese Studie auf die beiden wichtigsten Themen: die Peer-to-peer-Beziehung sowie die Kommunikation und Interaktion zwischen Ärzt:innen und Patient:innen mit TD1.
Trotz dieser Limitationen zeigt die Studie auf, dass digitale Interventionen maßgeblich dazu beitragen können, die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Jugendlichen zu verbessern und Peer-to-peer-Beziehungen zu stärken. Diese digitalen Tools sollten daher so gestaltet sein, dass sie nicht nur informative Inhalte vermitteln, sondern auch interaktive Elemente beinhalten, welche die Jugendlichen aktiv in den Prozess des eigenen Diabetesmanagements einbeziehen. Umstellungen auf digitale Verfahren statt Telefonate und E‑Mails würden es ermöglichen, dass diese Interventionen auf die spezifischen Bedürfnisse und Vorlieben der Jugendlichen zugeschnitten sind, und so den Jugendlichen mehr Autonomie geben. Die Studienergebnisse liefern somit essenzielle Hinweise dafür, wie digitale Interventionen entwickelt und implementiert werden sollten, um die Gesundheitskompetenz bei Jugendlichen mit T1D effektiv zu fördern.
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