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Bipolare Störungen im Kindes- und Jugendalter

Verfasst von: Martin Holtmann
Die bipolare Störung ist charakterisiert durch den Wechsel zwischen manischen und depressiven Episoden. Jugendliche zeigen häufigere Episodenwechsel pro Jahr als Erwachsene. Liegen keine abgrenzbaren Episoden mit eindeutigen Stimmungsänderungen oder Reizbarkeit und Veränderungen von Kognition und Verhalten vor, soll keine bipolare Störung diagnostiziert werden. Die korrekte Diagnosestellung wird oft nur durch die Längsschnittbetrachtung des Verlaufes möglich. Bei der Behandlung der Manie spielt die Pharmakotherapie eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung von Stimmung und Antrieb und soll dem Auftreten weiterer Phasen vorbeugen (Phasenprophylaxe). Aripiprazol kann aufgrund seines Nutzen-Risiko-Profils als Medikation der 1. Wahl gelten; Olanzapin, Quetiapin und Risperidon sind Wirkstoffe der 2. Wahl. Ab der zweiten Episode soll zur Rückfallprävention phasenprophylaktisch behandelt werden. Bei nicht ausreichendem Ansprechen kann die Behandlung mit mehreren Wirkstoffen notwendig werden.

Definition, Klassifikation und klinisches Bild

Namensgebend für die bipolare affektive Störung ist der Wechsel zwischen den beiden Polen Manie und Depression bzw. zwischen manischen und depressiven Episoden oder Zyklen („cycling“). Eine bipolare Störung nach ICD-10 (F31) kann dann diagnostiziert werden, wenn mindestens zwei affektive Episoden vorliegen (davon mindestens eine hypomane, manische oder gemischte Episode).
Die klinischen Kriterien der ICD-10 definieren die manische Episode (F30) durch eine gehobene oder gereizte Stimmung und eine deutliche Antriebssteigerung. Weitere Symptome sind zumeist ein gesteigertes Selbstwertgefühl und Selbstüberschätzung, Rededrang, Ideenflucht, Verlust normaler sozialer Hemmungen, erhöhte Ablenkbarkeit, vermindertes Schlafbedürfnis, gesteigerte Libido, Wahrnehmungsveränderungen und Wahnvorstellungen. Folgende Subtypen sind zu unterscheiden:
  • Hypomanie (F30.0)
  • Manie (F30.1) sowie
  • Manie mit psychotischen Symptomen (F30.2)
Hypomane Symptome im Sinne einer abgeschwächten Manie (leicht gehobene Stimmung, Tatendrang, etwas gesteigerter Antrieb) werden oft nicht als belastend oder krankhaft erlebt und als solche erkannt. Nach ihnen sollte insbesondere bei depressiven Jugendlichen explizit gefragt werden. In Phasen von Verliebtheit berichten Jugendliche vergleichbare Veränderungen, die selbstverständlich keinen Krankheitswert haben.
Eine gemischte Episode ist gekennzeichnet durch eine Mischung oder einen raschen Wechsel manischer und depressiver Symptome. Bei der bipolaren Störung mit schnellem Phasenwechsel („rapid cycling“) treten mindestens vier Episoden innerhalb eines Jahres auf.
Die Diagnose einer manischen Episode bzw. einer bipolaren Störung erfolgt im Jugendalter nach denselben Kriterien wie für Erwachsene. Klinische Verlaufsstudien geben Hinweise auf die Unterschiede zwischen bipolaren Störungen vor der Adoleszenz und im Erwachsenenalter. Häufiger als eine gehobene Stimmung sind bei frühen bipolaren Störungen Reizbarkeit, emotionale Labilität, Schlafstörungen, gesteigerte Aktivität, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Ablenkbarkeit und gefährliche Verhaltensweisen. Der Krankheitsverlauf kann rasch fluktuierend sein. So zeigen Jugendliche häufigere Episodenwechsel pro Jahr als betroffene Erwachsene (zum Teil als „ultra-rapid cycling“, d. h. wenige Tage anhaltende Episoden).
Bei Jugendlichen treten häufiger psychotische Symptome und auch gemischte Zustände auf, in denen Gereiztheit und vermehrte Energie neben Depressivität und Suizidgedanken bestehen (Kyte et al. 2006). Ebenso wie bei Erwachsenen gehen die gemischten Zustände mit einem höheren Risiko für Suizidversuche und vollendete Suizide einher.
In der Adoleszenz gleicht sich die Symptomatik der des Erwachsenenalters an.
Jugendliche zeigen viel häufigere Episodenwechsel pro Jahr als Erwachsene (zum Teil als „ultra-rapid cycling“, d. h. wenige Tage anhaltende Episoden) und mehr symptomatische Tage.
Wenn sexueller Missbrauch sicher ausgeschlossen werden kann, zeigt sich eine hohe Korrelation von Hypersexualität bzw. sexuell enthemmtem Verhalten und bipolaren Störungen (Geller et al. 2000). Altersinadäquate Hypersexualität (vermehrte Masturbation, sexualisierte Sprechweise, übermäßiges Interesse an sexuellen Themen) sollte dabei nicht verwechselt werden mit normalem sexuell-explorativem Verhalten.
Eingeschränktes Urteilsvermögen bei frühen bipolaren Störungen zeigt sich z. B. als unvernünftiges, riskantes Verhalten. In waghalsiger Selbstüberschätzung kommt es etwa zu Sprüngen aus großer Höhe, Klettern auf hohen Dächern oder zum Ausprobieren gefährlicher Stunts mit Fahrrad oder Skateboard. Im weiteren Entwicklungsverlauf zeigt sich das Risikoverhalten dann z. B. in riskantem Autofahren, dem Konsum illegaler Drogen oder promiskuitiver Sexualität.
„Beispiel“, Fallbeispiel
Der 15-jährige Maximilian wird von seinen sehr besorgten Eltern akut in der Klinik vorgestellt. Er sei seit einigen Tagen „nicht mehr der alte“. Er habe unzählige Pläne einer Maschine gezeichnet, mit der er die Ergebnisse der Fußball-Bundesliga, die manipuliert worden wären, wieder korrigieren könne. Wenn er darauf angesprochen werde, reagiere er unwirsch. Maximilian erzählt bereitwillig, aber sehr inkohärent von seinen Ideen. Er verstehe nicht, warum die Eltern ihn untersuchen lassen wollten. Es gehe ihm gut. Das Problem sei, dass die Eltern und auch seine Freunde einfach nicht so schnell denken könnten wie er. Rückblickend berichten die Eltern von seit einigen Monaten bestehenden Schlafstörungen ihres Sohnes. Seit drei Tagen habe er fast gar nicht mehr schlafen können. Maximilian habe exzessiv online gespielt. Die Schulleistungen seien schlechter geworden. Die ganze Familie sei angespannt, die jüngeren Geschwister hätten Angst vor ihrem Bruder. Vor etwa zwei Jahren sei Maximilian für einige Wochen sehr zurückgezogen gewesen, habe traurig gewirkt und offenbar viel gegrübelt. Diese Phase sei aber ohne ärztliche oder therapeutische Hilfe wieder abgeklungen. Eine Tante mütterlicherseits habe sich als junger Erwachsene das Leben genommen.

„Childhood bipolar“-Kontroverse

Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wurde eine kontroverse Debatte über die Häufigkeit und das klinische Bild bipolarer Störungen vor der Adoleszenz geführt. Unklar war vor allem die diagnostische und prognostische Einschätzung eines Symptombildes aus Affektinstabilität, Reizbarkeit und Aufmerksamkeitsstörung. Leibenluft et al. (2003) empfahlen die Unterscheidung zwischen einem „engen“ und einem „breiten“ Phänotyp bipolarer Störungen. Dabei entspricht der „enge“ Phänotyp dem klassischen Symptomkomplex der Manie mit eindeutigen, episodenhaften Symptomen von gehobener Stimmung und Reizbarkeit, während der „breite“ Phänotyp chronische Symptome wie nichtepisodische Reizbarkeit („irritability“), schnelle Stimmungsschwankungen, erhöhte Ablenkbarkeit und Aggressivität umfasst.
Um der Überdiagnose bipolarer Störungen insbesondere bei jüngeren Kindern zu begegnen, die vor allem in den USA in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgte, wurde im DSM-5 dann erstmals ein Krankheitsbild aufgenommen, das diese chronisch-gereizte Symptomatik unter dem Begriff „Disruptive Mood Dysregulation Disorder“ (DMDD) beschreibt (American Psychiatric Association et al. 2018). Eine Nähe der nichtepisodischen Reizbarkeit im Sinne der DMDD zum bipolaren Spektrum gilt mittlerweile durch mehrere Längsschnittstudien als widerlegt. So geht nur die episodische Reizbarkeit mit einem gesteigerten Risiko der Entwicklung einer bipolaren Störung einher, während chronische Reizbarkeit die Wahrscheinlichkeit erhöht, zunächst an einer ADHS und im jungen Erwachsenenalter an depressiven Störungen, Suizidalität und Substanzabhängigkeit zu erkranken (Stringaris et al. 2010; Holtmann et al. 2011). In der ICD ist daher auch in der 11. Revision weiterhin keine eigene Diagnose für diesen Symptomkomplex vorgesehen.
Das vorliegende Kapitel beschränkt sich auf den engen Phänotyp der bipolaren Störung vor der Adoleszenz. Für die Diagnostik und Behandlung der chronischen Reizbarkeit/DMDD sei auf Kap. „Disruptive Affektregulationsstörungen in Kindheit und Jugend“ sowie auf die Übersichten in Holtmann et al. (2017) und Stringaris et al. (2018) verwiesen.
Bei der Diagnostik bipolarer Störungen soll vorrangig auf das Auftreten von abgrenzbaren Episoden mit eindeutigen Stimmungsänderungen und begleitenden Veränderungen von Kognition und Verhalten geachtet werden. Liegen derartige Episoden nicht vor, ist nach jetzigem Erkenntnisstand auch keine bipolare Störung zu diagnostizieren.

Epidemiologie

In Deutschland hingegen werden bipolare Störungen vor der Adoleszenz praktisch kaum diagnostiziert (weniger als 0,5 % der Diagnosen in Kliniken und Praxen; Holtmann et al. 2010; Meyer et al. 2004). Auch andere europäische Länder berichten – im Unterschied zu den USA – von eher niedrigen Raten Heranwachsender mit bipolaren Störungen. Auf die Bevölkerung gestützte Schätzungen für die Häufigkeit bipolarer Störungen vor dem 18. Lebensjahr liegen recht einheitlich bei 0,6–1 % (Lewinsohn et al. 2000). Vermutlich beginnen bis 40–60 % aller bipolaren Erkrankungen vor dem 20. Lebensjahr (Lish et al. 1994; Perlis et al. 2004). Eine Erstmanifestation vor dem zehnten Lebensjahr ist, ähnlich wie bei schizophrenen Erkrankungen, extrem selten.
Die Häufigkeit der bipolaren Störung im Kindes- und Jugendalter zeigt seit Ende des 20. Jahrhunderts eine weltweit zunehmende Tendenz. Diese Häufigkeitszunahme könnte sowohl durch eine aufmerksamere klinische Diagnostik bedingt sein als auch durch einen tatsächlichen Trend hin zu einem jüngeren Erstmanifestationsalter (Holtmann et al. 2010).

Pathogenese

Ein integrierendes Modell für die Entstehung bipolarer Störungen liegt derzeit nicht vor. Wahrscheinlich ist eine multifaktorielle Genese. Neben einer relativ starken genetischen Komponente als Grundlage einer erhöhten Sensibilität spielen vermutlich Umwelteinflüsse (wie z. B. frühkindliche Traumatisierung) und Persönlichkeitscharakteristika (zyklothymes Temperament) eine Rolle.
Die Wahrscheinlichkeit von Kindern oder Jugendlichen an einer bipolaren Störung zu erkranken liegt zwischen 10 und 20 %, sofern ein Elternteil bipolar erkrankt ist, und bei ca. 55 %, sofern beide Eltern betroffen sind (Merikangas und Kupfer 1995). In Zwillingsstudien ergaben sich Konkordanzraten von 72 % bei eineiigen bzw. 14 % bei zweieiigen Zwillingen, was ebenfalls auf die genetische Disposition hinweist (Allen 1976).
Bei der Frage, ob Kinder bipolar erkrankter Eltern später selbst erkranken, spielen neben genetischen Faktoren auch Risiko- und Schutzfaktoren in der familiären Umwelt eine entscheidende Rolle. Im Zusammenwirken von psychosozialem Stress und Veranlagung entwickeln sich zunächst prodromale Phasen und schließlich die voll ausgeprägte bipolare Störung.

Verlauf und Prognose

Da es nur wenige Langzeitstudien zur früh beginnenden bipolaren Störung gibt, ist über den Verlauf wenig bekannt.
Im Mittel vergehen fünf bis zehn Jahre zwischen einer ersten affektiven Episode und der korrekten Diagnose einer bipolaren Störung (Grunze und Severus 2005). Häufige Fehldiagnosen sind die rezidivierende unipolare Depression, die Schizophrenie, die schizoaffektive Störung, Alkohol- und Drogenabhängigkeit sowie ADHS. Eine korrekte Diagnose ist oft nur durch eine entsprechende Längsschnittbetrachtung des Krankheitsverlaufs möglich.
Duffy et al. (2010) beobachteten Kinder mit einem bipolar erkrankten Elternteil und beschrieben eine Folge klinischer Stadien, die häufig vor dem Auftreten einer ersten manischen Phase durchlaufen werden (Abb. 1). Die Autoren fanden bei den Kindern mit familiärer Disposition präpubertär eine erhöhte Rate an nichtaffektiven Störungsbildern, unter anderem Schlafstörungen, Angststörungen und Substanzmissbrauch, interessanterweise jedoch keine erhöhten Raten an ADHS. Insbesondere das Vorhandensein von Angststörungen im Kindesalter führte zu einem mehr als doppelt so hohen Risiko der Entwicklung einer schweren affektiven Störung im weiteren Verlauf. In Folge verdoppelte das Vorhandensein einer Depression oder Manie wiederum das Risiko eines Substanzmissbrauchs. Bei annähernd allen Probanden, die im jungen Erwachsenenalter die diagnostischen Kriterien einer bipolaren Störung erfüllten, trat als erste affektive Episode zunächst eine leichte oder mittelgradige Depression auf. Manische Symptome folgten im Durchschnitt drei Jahre nach der ersten depressiven Episode und in allen Fällen erst nach dem 14. Lebensjahr.
Bipolare Störungen sind im Anfangsstadium wegen des oft zunächst unspezifischen klinischen Bildes schwer zu diagnostizieren. Mittlerweile gibt es zunehmend Anhaltspunkte, dass bipolaren Störungen ähnlich den schizophrenen Psychosen eine längere Prodromalphase mit Störungen von Stimmung und Antrieb, depressiven Verstimmungen sowie Konzentrations- und Kontaktstörungen vorangeht (Correll et al. 2007; Egeland et al. 2012).
Da bipolare Erkrankungen in etwa neun von zehn Fällen mit einer depressiven Episode beginnen (Mesman et al. 2013), kommt der Problematik der Konversion von der depressiven in die manisch-depressive Störung („bipolar switch“) wegen differenzialtherapeutischer und prognostischer Überlegungen klinisch eine große Bedeutung zu. Angst et al. (2005) konnten zeigen, dass über die gesamte Lebensspanne hinweg etwa 1,25 % der depressiven Erkrankungen pro Jahr in bipolare Störungen übergeht (d. h. nach zehn Jahren mehr als 10 %). Die Diagnose einer unipolaren Depression ist daher immer vorläufig, da beim einzelnen Patienten erst der Verlauf zeigt, ob es sich um eine noch verdeckte bipolare Störung („hidden bipolar disorder“) handelt. Im klinischen Einzelfall ist die bipolare depressive Phase schwer von der unipolaren Depression abzugrenzen (Tab. 1).
Tab. 1
Unterschiede zwischen bipolaren und unipolaren Depressionen (nach DGBS und DGPPN 2019 und Birkle und Holtmann 2014)
Vergleich bipolarer und unipolarer Depressionen
Unterschiede im Krankheitsbild
• Früheres Ersterkrankungsalter bipolar affektiver Erkrankungen
• Gleich häufiges Auftreten bipolarer Erkrankungen bei beiden Geschlechtern (an unipolaren Depressionen erkranken jedoch Frauen doppelt so häufig wie Männer)
• Höheres Rezidivrisiko bipolar affektiver Erkrankungen
• Größeres Risiko für Suizidalität bei bipolarer Depression
• Sucht- und Angsterkrankungen treten häufig komorbid bei bipolar affektiven Erkrankungen besonders auf
Unterschiede in der Behandlung
• Risiko der Induktion einer Manie durch antidepressive Behandlung
• Mögliche Beschleunigung der Episodenfrequenz durch antidepressive Behandlung
• Gefahr der Induktion eines affektiven Mischzustandes durch antidepressive Behandlung
• Therapeutisches Dilemma in der Erhaltungstherapiephase: Abwägen zwischen dem Risiko eines depressiven Rezidivs bei frühzeitigem Absetzen des Antidepressivums und dem Risiko einer Manie-Induktion bei längerer Fortführung
• Mangelhaftes Wissen über die Wirksamkeit vieler Antidepressiva bei bipolarer Depression
Im Sinne einer früheren Identifikation zielen die Forschungsbemühungen daher darauf, Risikofaktoren zu ermitteln, welche die Konversionen einer unipolar depressiven in eine bipolare Störung vorhersagen können. Als solche Merkmale gelten nach Beesdo et al. (2009):
  • ein früher und plötzlicher Beginn der Depression,
  • psychotische Symptome im Rahmen der Depression,
  • hypomane Auslenkungen,
  • eine positive Familienanamnese für bipolare Störungen.
Klinisch relevant ist die Beobachtung, dass in 90 % depressive Episoden die 1. Phase der bipolaren Erkrankung darstellen. Etwa 10 % der Jugendlichen mit Depression entwickeln innerhalb von zehn Jahren hypomane oder manische Episoden, sodass Kriterien für eine bipolare Störung erfüllt sind („bipolar switch“).
Allgemein wird angenommen, dass die früh beginnende bipolare Störung eine schlechtere Prognose hat als die bipolare Störung mit Erstmanifestation im Erwachsenenalter. Die Erkrankung führt unzweifelhaft zu schweren Unterbrechungen im normalen Sozialleben und Ausbildungsverlauf. Die Rückfallwahrscheinlichkeit ist auch nach initialer Genesung mit über 50 % sehr hoch. Früher Krankheitsbeginn, Schwere der Manie, längere Erkrankungsdauer, familiäre Belastung mit affektiven Störungen, niedriger sozio-ökonomischer Status und begleitende ADHS, Angststörungen und externalisierende Störungen gehen mit schlechterem Verlauf einher.

Diagnostik

Die Diagnose der bipolaren Störung erfolgt in der Regel klinisch. Vor der Adoleszenz wird die Diagnose der bipolaren Störung erschwert durch die niedrige Basisrate, die breite Überlappung der Symptome mit anderen Störungen, die große Variabilität der klinischen Ausprägung und einen immer noch ungenügenden Transfer evidenzbasierten Wissens über die Frühsymptome bipolarer Störungen in die klinische Praxis.
Diagnostikhilfen wie standardisierte Interviews und Rating-Skalen können Unterstützung leisten, sind aber von der Erfahrung und dem Training des Beurteilers abhängig. Zum Einsatz kommen können allgemeine Fragebögen (z. B. Child-Behavior-Checklist, CBCL; Strength and Difficulties Questionnaire, SDQ) und störungs- bzw. symptomspezifische Beurteilungsskalen für Manie, Depression und Reizbarkeit: die Young Mania Rating Scale, die auch in einer Elternversion vorliegt (Gracious et al. 2002), die Childhood Depression Rating Scale-Revised (CDRS-R; Keller et al. 2011) und der Affective Reactivity Index (ARI; in Holtmann et al. 2017, S. 126–127). Darüber hinaus gibt es erste Erfahrungen bei Jugendlichen mit der Hypomanie-Checkliste (HCL-32) als Screeninginstrument für hypomane Phasen (Holtmann et al. 2009). Insgesamt 32 Aussagen beschreiben Verhalten und Stimmung, die in „Hochs“ auftreten.
Hypomane Symptome nach der Hypomanie-Checkliste 32, HCL-32 (Angst et al. 2005)
  • Mehr Selbstvertrauen
  • Geselliger
  • Fahre schneller
  • Gebe mehr Geld aus
  • Risikofreudiger
  • Weniger schüchtern
  • Treffe mehr Leute
  • Stärkeres sexuelles Verlangen
  • Flirte mehr/sexuell aktiver
  • Gesprächiger
  • Denke schneller
  • Ablenkbarer
  • Beginne ständig neues
  • Gedanken springen
  • Alles fällt leichter
  • Bin ungeduldig/gereizt
  • Auseinandersetzungen
  • Mehr Kaffee
  • Rauche mehr
  • Mehr Alkohol und Drogen
Weiterführend sind auch Zeichnungen, der nonverbale Ausdruck, das Spielverhalten und das Führen eines Stimmungsprotokolls zur Schulung der Selbstbeobachtung.
Die Exploration von Suizidalität ist unverzichtbarer Bestandteil der Untersuchung von Patienten mit Verdacht auf bipolare Störungen.
Schwere Störungen der Affekt- und Verhaltensregulation, die von manchen Autoren in die Nähe von bipolaren Störungen gerückt werden, können mittels eines Profils auf der Child Behavior Checklist erfasst werden. Zur Diagnosestellung einer jugendlichen bipolaren Störung ist es allerdings nicht hilfreich (Grimmer et al. 2010).
Bei der diagnostischen Abklärung einer bipolaren Störung im Jugendalter sollte auch die Familienanamnese berücksichtigt werden. Wird bei einem Elternteil eine depressive Phase angegeben, sollte stets nach einer möglichen manischen oder hypomanen Phase gefragt werden, da Erkrankungen aus dem bipolaren Formenkreis bei Erwachsenen häufig als unipolare Depression fehldiagnostiziert werden.
Manische oder depressive Episoden können die normale schulische Entwicklung unterbrechen, wenn die Jugendlichen über lange Strecken hinweg den Unterricht versäumen oder in ihrer Lern- und Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt sind. Typisch sind anhaltende Beeinträchtigungen der verbalen Merkfähigkeit und des Arbeitsgedächtnisses (Horn et al. 2011). Daher ist nach dem Abklingen der akuten Krankheitsphase eine neuropsychologische Testung einschließlich der differenzierten Bestimmung des IQs anzuraten.

Differenzialdiagnosen und Komorbidität

Die Abgrenzung bipolarer Störungen von anderen Störungsbildern ist herausfordernd. Dies liegt darin begründet, dass die differenzialdiagnostisch abzugrenzenden Störungen oft auch als komorbide Erkrankungen und als vorangehende Störungen auftreten (Abb. 1). Häufige komorbide Erkrankungen sind ADHS, Störungen des Sozialverhaltens, Substanzmissbrauch und Angststörungen.
Schwierig ist die Abgrenzung der bipolaren Störung von der früh beginnenden Schizophrenie. Bei beiden Erkrankungen finden sich in der Frühphase häufig depressive Verstimmungen, Antriebsstörungen, sowie Kontakt- und Konzentrationsstörungen.
Bei der bipolaren Erkrankung steht die affektive Symptomatik im Vordergrund; eventuell vorhandene psychotische Symptome, wie z. B. Größen- oder Schuldwahn, sind im allgemeinen stimmungskongruent. Das schizophrene Prodrom ist durch ungewöhnliche Ideen oder auch psychotische Symptome geprägt, insgesamt gibt es jedoch viele Überschneidungen (Grimmer et al. 2010).
Zu Unsicherheiten führt manchmal auch die differenzialdiagnostische Abgrenzung der frühen Phase einer manischen Episode von einem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). Wie bei der ADHS zeigen sich auch in der (Hypo-)Manie gehobene oder gereizte Stimmung, Hyperaktivität mit vermehrter Gesprächigkeit und Distanzminderung sowie Konzentrationsstörungen, erhöhte Ablenkbarkeit, vermindertes Schlafbedürfnis und eine Neigung zu leichtsinnigem oder verantwortungslosem Handeln. Wegweisend ist der anamnestische Erkrankungsbeginn: Hyperkinetische Störung manifestieren sich spätestens im Schulalter (meist sogar deutlich früher), während manische Episoden vor der Pubertät eine Rarität sind.
Bei manischer Symptomatik sollte ein Substanzmissbrauch, z. B. von Alkohol, Amphetaminen, Cannabis und Kokain erwogen und durch ein Drogenscreening überprüft werden. Vereinzelt kann es auch zu medikamentös ausgelösten manischen Symptomen durch Kortikosteroide oder Antidepressiva kommen.
Im Rahmen der allgemeinen körperlichen Untersuchung müssen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, z. B. Infektionen (HIV, Borreliose etc.), Autoimmun-Enzephalitiden, raumfordernde Prozesse oder Epilepsien als mögliche Ursachen bedacht werden, des Weiteren bestimmte Endokrinopathien (z. B. Hyperthyreose, Adrenopathien), und Stoffwechselerkrankungen (z. B. Morbus Wilson oder Porphyrien).
Eventuelle Belastungsfaktoren (Traumata, einschneidende Lebensereignisse etc.) sollen sorgfältig erfragt werden, um eine posttraumatische Belastungsstörung bzw. eine Anpassungsstörung mit einer emotionalen Störung zu erkennen. Angststörungen können sich ebenfalls mit depressiven Symptomen manifestieren.
Einen Überblick über Differenzialdiagnosen der bipolaren Störung im Jugendalter gibt Tab. 2.
Tab. 2
Wichtige Differenzialdiagnosen zur früh beginnenden bipolaren Störung mit ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden (nach Grimmer et al. 2010)
Erkrankung
Gemeinsamkeiten
Unterschiede zur bipolaren Störung
ADHS
Gesteigerter Antrieb, Rededrang, vermindertes Schlafbedürfnis
Chronischer Verlauf, Beginn in der frühen Kindheit, affektive Symptomatik eher reaktiv
Depression
Episodischer Verlauf, Beginn in der Jugend
Keine manischen/hypomanen Phasen
Schizophrenie
Vergleichbares Prodrom, oft mit depressiver Verstimmung, Antriebs-, Kontakt- und Konzentrationsstörungen
Eher paranoide Wahninhalte, diese sind nicht stimmungskongruent, affektive Beteiligung möglich, aber nicht im Vordergrund
Substanzmissbrauch
Symptomatik kann die einer Manie/Hypomanie imitieren
Klarer Zusammenhang der Symptome zum Substanzkonsum, bei Abstinenz meist keine Symptomatik
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung
Stimmungsschwankungen, Suizidgedanken
Chronischer Verlauf, Selbstverletzung, oft Trauma in der Vorgeschichte, kaum längere Phasen relativen Wohlbefindens

Therapie

Bei den manischen und bipolaren Erkrankungen sind drei Behandlungsphasen zu unterscheiden:
  • die Behandlung der akuten manischen Episode,
  • die Behandlung der bipolaren Depression,
  • die Erhaltungstherapie und Phasenprophylaxe.
Eine stationäre Behandlung ist notwendig bei akuten manischen Episoden, schwerer Depression und gravierenden Einschränkungen der Alltagsbewältigung. In Einzelfällen kann auf Antrag der Sorgeberechtigten eine geschlossene Unterbringung durch das Familiengericht nach § 1631b BGB sinnvoll sein, etwa bei hohem Erregungs- und Aktivitätsniveau mit Selbstüberschätzung, risikoreichem Verhalten oder Suizidalität.
Vorrangiges Ziel der Therapie ist die Regulation von Affekt, Antrieb und Schlaf-Wach-Rhythmus sowie das Abklingen möglicher psychotischer Symptome. Elementarer Bestandteil der Behandlung ist die ausführliche, die ganze Behandlung begleitende Psychoedukation des Patienten und seiner Familie.
Eine tragende Säule der Behandlung ist die Pharmakotherapie. Eine detaillierte Darstellung hierzu findet sich bei Holtmann und Wewetzer (2016).
Randomisiert-kontrollierte Studien für die pharmakotherapeutische Behandlung früh beginnender bipolarer Störungen liegen vor allem aus den USA vor (Übersicht in Díaz-Caneja et al. 2014). Schlussfolgerungen daraus sind nur äußerst zurückhaltend möglich, da viele der Studienteilnehmer sehr jung waren (zum Teil noch im Vorschulalter), nicht das Vollbild einer Manie zeigten und daher nach europäischen Maßstäben vermutlich nicht mit einer bipolaren Störung diagnostiziert worden wären. Auch Erkenntnisse aus dem Erwachsenenalter können nicht ohne weiteres auf das Jugendalter übertragen werden.
In Deutschland sind lediglich Aripiprazol (ab dem 13. Lebensjahr) für mäßige bis schwere manische Episoden und Ziprasidon (ab dem 10. Lebensjahr) für manische und gemischte Episoden zugelassen. Für Lithiumsalze besteht eine Zulassung für die Phasenprophylaxe ab dem 12. Lebensjahr. Im Aufklärungsgespräch kann aber darauf hingewiesen werden, dass für einzelne andere Substanzen langjährige Erfahrungen bei der Behandlung junger Patienten im Rahmen anderer Indikationen bestehen.

Behandlung der akuten Manie

Krankheitseinsicht und Veränderungsmotivation des Patienten sind während einer akuten manischen Krankheitsphase häufig nur gering ausgeprägt. Vorrang haben die pharmakologische Behandlung unter stationären Bedingungen, die Reizabschirmung und die Wiederherstellung eines normalen Tag-Wach-Rhythmus. Nach einer ersten Stabilisierung dienen psychoedukative und psychotherapeutische Verfahren der Stressreduktion, der Förderung sozialer Kompetenzen und dem Erlernen von Problemlösestrategien. Alltagsbelastung und kognitive Anforderungen sollten schrittweise gesteigert und eine Wiedereingliederung in Schule beziehungsweise Beruf stufenweise angestrebt werden. Häufig sind über die klinische Behandlung hinaus zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe notwendig.
Antipsychotika der 2. Generation verfügen über die beste Evidenzbasis in der Akutbehandlung von bipolaren Störungen. Der schnelle Wirkungseintritt der Antipsychotika ist hierbei von Vorteil. Allerdings profitiert nur etwa die Hälfte der Jugendlichen mit bipolarer Störung klinisch bedeutsam von alleiniger Behandlung mit einem Antipsychotikum. Die Evidenz für die Wirksamkeit von Antiepilektika ist sehr schwach (Übersicht in Davico et al. 2018). Es liegen keine methodisch profunden Studien vor, die die Sicherheit und Wirksamkeit eines Antipsychotikums im Vergleich zu einem anderen untersucht hätten („Head-to-Head-Studien“).
Bei der Behandlung einer akuten manischen Episode im Jugendalter spielt die Pharmakotherapie eine zentrale Rolle. Aripiprazol kann dabei aufgrund des günstigeren Nutzen-Risiko-Profils als Medikation der 1. Wahl gelten.
Olanzapin, Quetiapin und Risperidon sind gleichrangig als Wirkstoffe der 2. Wahl anzusehen. Die Dosierung der Antipsychotika erfolgt wie bei der Behandlung der Schizophrenie. Wegen der stärkeren sedierenden Wirkung kann bei Patienten mit deutlich gesteigertem Antrieb die Behandlung im Akutstadium zunächst mit Olanzapin oder Risperidon begonnen werden; frühzeitig sollte dann überlappend eine Behandlung mit Aripiprazol begonnen werden, um nach dem Abklingen der akuten Symptome möglichst zu einer Monotherapie Aripiprazol überzugehen.
Führt die Behandlung mit der zunächst gewählten Substanz trotz adäquater Zieldosis nach zwei bis drei Wochen zu keinerlei Verbesserung, sollte die Umstellung auf einen anderen Wirkstoff erfolgen. Bei nicht ausreichender, unbefriedigender Wirkung kann vier bis sechs Wochen nach Erreichen der Zieldosis eine Umstellung erwogen werden. Der Wechsel von einem Antipsychotikum auf ein anderes sollte in der Regel überlappend erfolgen.
In einer beträchtlichen Anzahl von Fällen wird bei nicht ausreichendem Ansprechen auf eine Monotherapie die Behandlung mit mehreren Wirkstoffen notwendig werden, etwa eine Kombination von Aripiprazol mit einem anderen Antipsychotikum der 2. Generation oder mit einem Lithiumsalz oder Valproinsäure.
Bei Agitation, Schlaflosigkeit oder Angstzuständen können begleitend Benzodiazepine oder nieder- und mittelpotente sedierende und die Anspannung lösende Neuroleptika eingesetzt werden (z. B. Chlorprothixen, Levomepromazin).

Behandlung der bipolaren Depression

Empfehlungen für die Therapie der unipolaren Depression sind nicht einfach auf depressive Phasen im Rahmen einer bipolaren Störung übertragbar (Birkle und Holtmann 2014). Während für erwachsene Patienten mit bipolarer Depression Quetiapin als Monotherapie zur Akutbehandlung empfohlen wird, kann diese Empfehlung aufgrund der nicht gelungenen Replikation an Jugendlichen nicht für die früh beginnende bipolare Depression übernommen werden (Findling et al. 2014). Bei einer leichten bipolaren Depression kann eventuell auf die zusätzliche Behandlung mit einem Antidepressivum verzichtet werden. Bei mittelgradigen und schweren depressiven Symptomen ist die Behandlung mit einem Antidepressivum (vorzugsweise SSRIs oder Substanzen mit einem gemischt serotonergen und noradrenergen Profil) die 1. Wahl, das in Kombination mit einem Antipsychotikum bzw. Stimmungsstabilisator eingesetzt werden sollte, um den Patienten gegen einen „bipolaren switch“ zu schützen.

Erhaltungstherapie und Phasenprophylaxe

Nach Abklingen der Akutsymptomatik wird nach der 1. Episode empfohlen, eine Erhaltungstherapie über sechs bis 12 Monate fortzuführen und dann schrittweise langsam, gegebenenfalls über mehrere Monate, zu reduzieren.
Ab der zweiten Episode sollte bei Jugendlichen bereits phasenprophylaktisch behandelt werden, insbesondere bei erblicher Belastung.
Mittel der 1. Wahl zur Phasenprophylaxe ist bei Jugendlichen Aripiprazol (Díaz-Caneja et al. 2014). Lithium ist Mittel der 2. Wahl, gefolgt von Lamotrigin (zur Prophylaxe depressiver Episoden bei Ansprechen in Akutphase) und Valproinsäure. Für Lamotrigin und Valproat sind, ähnlich wie bei Lithium, ausreichende Serumspiegel sicherzustellen (praxisnahe Handreichungen finden sich in Gerlach et al. 2016). Bei guter Wirksamkeit und Verträglichkeit in der Akutphase kommt auch eine Fortsetzung der Behandlung mit Olanzapin, Risperidon oder Quetiapin infrage. Eine Fortführung der Behandlung ist zumindest für 18 Monate zu empfehlen. Häufig wird eine längere Behandlungsdauer erforderlich sein.
Im Erwachsenenalter sind Lithiumsalze bezüglich der Phasenprophylaxe und des antisuizidalen Effektes allen anderen Substanzen überlegen. Die Datenlage bei Jugendlichen ist viel weniger eindeutig, es gibt aber Hinweise auf die akute und langfristige Wirksamkeit von Lithium (Amerio et al. 2018; Findling et al. 2019). Im klinischen Alltag begrenzen beeinträchtigende unerwünschte Wirkungen und die enge therapeutische Breite, die Serumspiegelkontrollen und eine hohe Zuverlässigkeit seitens der Patienten und Sorgeberechtigten erfordern, den Einsatz von Lithium.
Als Behandlungsalternative zu Lithium können stimmungsstabilisierende Antiepileptika wie Valproinsäure und Lamotrigin in Monotherapie und in Kombination mit Antipsychotika der 2. Generation oder Lithium zur Behandlung der akuten Manie und insbesondere zur Phasenprophylaxe erwogen werden. Es gibt Hinweise, dass Valproinsäure bei gereizten und gemischten Episoden vorteilhaft ist.
Die prophylaktische Behandlung von nichtsymptomatischen Kindern, die aufgrund ihrer genetischen Belastung zu einer Hochrisikogruppe zu rechnen sind, ist abzulehnen und konnte etwa für Valproat als nicht wirksam belegt werden (Findling et al. 2007). Bei diesen Kindern wird eine beobachtende Begleitung („watchful waiting“) empfohlen. Klärung bringt die Beobachtung im Verlauf. Behandelt werden sollte nur die aktuelle Symptomatik.

Psychotherapie

Psychotherapie und Psychoedukation sind essenzielle Bestandteile des Behandlungsplans für Jugendliche mit bipolaren affektiven Störungen sowie deren Eltern. Je aufgeklärter Betroffene sind, desto eher ist es ihnen möglich die Therapie mitzugestalten.
Die Einzelpsychotherapie sollte den (Wieder-)Erwerb von sozialen Fähigkeiten und Verhaltensweisen zum Schwerpunkt haben und eine Einsicht in die Zusammenhänge der Erkrankung vermitteln. Hilfreich sind Elemente der dialektisch-behavioralen Therapie und interpersonellen Psychotherapie (IPT) unter Berücksichtigung der sozialen Rhythmik (Social-Rhythm-Therapy; Modifikation für Jugendliche; Goldstein et al. 2014), die im Kern auf die Wiederherstellung einer gesunden Emotionsregulation und eines strukturierten, Halt gebenden Alltags und Tagesrhythmus zielen. Der Einsatz von Stimmungstagebüchern kann hilfreich dabei sein, Auslöser für manische oder depressive Episoden und Stimmungsschwankungen aufzuzeigen (Denicoff et al. 2000).
Ein psychoedukativer Gruppenkontext kann für Jugendliche mit bipolarer Störung sinnvoll sein. Analoge oder digitale Stimmungstagebücher können dabei helfen, Schwankungen im Affekt und deren auslösenden Bedingungen zu erkennen. Darauf aufbauend können verhaltenstherapeutische Techniken zur Reduzierung des Rückfallrisikos eingesetzt werden.
Therapeutisch bedeutsam ist die Beobachtung, dass ein von elterlicher Wärme geprägtes Familienklima mit weniger Krankheitsepisoden im Verlauf einhergeht (Geller et al. 2008). Eine intensive Familien-fokussierte Therapie für Adoleszente (FFT-A) zeigte allerdings keine Überlegenheit gegenüber gezielter Psychoedukation (Miklowitz et al. 2014).
Hilfreiche psychoedukative Ansätze bei frühen bipolaren Störungen (nach Holtmann et al. 2013)
  • Stressmanagement (Modifizierung bestehender Alltags- und Umfeldbelastungen) und Entspannungstraining
  • Psychoedukation: affektiv stabilisierende (Kontinuität, klare Tagesstruktur, fester Schlaf-Wach-Rhythmus) und labilisierende Faktoren (Über- oder Unterforderung)
  • Verhaltensanalyse auf Basis eines Stimmungstagebuchs
  • Einfluss des Denkens: hilfreiche und dysfunktionale Kognitionen
  • Schulung des Patienten und der Familie in der Wahrnehmung von Krankheitssymptomen (z. B. Schlafstörungen, gesteigerte Aktivität, Selbstüberschätzung etc.) als „Frühwarnzeichen“
  • Krisenplan zur Rückfallprophylaxe: Wie können sich Patienten und ihre Bezugspersonen beim Auftreten der Warnzeichen verhalten?
Oft benötigen Jugendliche mit bipolaren Störungen über die medizinische Behandlung hinaus auch Maßnahmen zur psychosozialen Reintegration durch die Jugendhilfe nach § 35a KJHG. Die Notwendigkeit von Unterstützung in schulischen Belangen wird häufig übersehen. Kognitive Beeinträchtigungen können noch über das Abklingen der affektiven Symptome hinaus andauern. Anhaltend verringerte Konzentrationsfähigkeit kann beispielsweise zu einem niedrigeren Leistungsniveau in der Schule als vor der Erkrankung führen. Eltern, die zu hohen Leistungserwartungen neigen, sollen angeleitet werden, den Erwartungsdruck auf das Kind zu reduzieren. In enger Zusammenarbeit mit Eltern und Schule muss ein individuelles Unterstützungsprogramm entwickelt werden, das speziell auf die Bedürfnisse des Jugendlichen abgestimmt ist. Die ärztlichen Informationen sind für die Lehrer wichtig, um die Krankheit zu verstehen und die Belastbarkeit des Jugendlichen gut einschätzen zu können. Nur durch die individuelle Kooperation aller, die sich mit dem Jugendlichen befassen, und die Transparenz der jugendpsychiatrischen Maßnahmen kann es gelingen, Schul- oder Ausbildungsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen.

Fazit

Diagnosestellung und Behandlung der bipolaren Störung im Jugendalter stellen große Herausforderungen dar. Die bipolare Störung manifestiert sich zunächst fast immer in Form von depressiven Episoden. Rezidivierende unipolare Depressionen zählen zu den häufigsten Fehldiagnosen, da hypomane Phasen meist von Patienten nicht als krankhaft empfunden und entsprechend nicht berichtet werden, umgekehrt aber vom Arzt zu selten erfragt werden. Ein großer Fortschritt wäre es, wenn bei allen depressiven Jugendlichen regelhaft nach hypomanen Symptomen gefragt würde. Ein weiteres Augenmerk sollte auf die Prodromalphase bipolarer Erkrankungen gelegt werden. Sollte es gelingen, zuverlässigere Prädiktoren für den Übergang von unipolar depressiven in bipolare Störungen zu finden, könnte dies zum Ansatzpunkt präventiver Interventionen werden. In diesem Zusammenhang ist eine Verstärkung der Forschung zu Frühsymptomen bipolarer Störungen sowie ihrer Gemeinsamkeiten und Besonderheiten im Vergleich mit schizophrenen Prodromi notwendig. Sinnvoll erscheint es, die Kompetenz der bestehenden Früherkennungszentren für Psychosen um jugendpsychiatrische Expertise zu ergänzen und Frühformen schizophrener und affektiver Psychosen gleichermaßen in den Blick zu nehmen.
Die korrekte Diagnosestellung bipolarer Störungen wird meist nur durch die Längsschnittbetrachtung des Krankheitsverlaufes möglich. Entsprechende Verlaufsbeobachtungen der Patienten können wichtige Informationen zu episodischen Veränderungen geben, was bei einer reinen Querschnittsbetrachtung meist nicht gelingt. In diesem Kontext ist es wichtig, dass Ärzte der Grundversorgung, Psychotherapeuten sowie Spezialisten der Kinder- und Jugendpsychiatrie enger miteinander kooperieren.
Bei der Diagnostik bipolarer Störungen im Jugendalter sollte vorrangig auf das Auftreten von abgrenzbaren Episoden mit eindeutigen Stimmungsänderungen und begleitenden Veränderungen von Kognition und Verhalten geachtet werden. Liegen derartige Episoden nicht vor, sollte nach jetzigem Erkenntnisstand auch keine bipolare Störung diagnostiziert werden. Symptome von Kindern, die an ADHS und einer begleitenden affektiven Dysregulation oder „severe mood dysregulation“ leiden, sollten nicht im Sinne einer früh beginnenden bipolaren Störung interpretiert werden.
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