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Leitlinien in der antiemetischen Prophylaxe und Therapie – Strahlentherapie

Verfasst von: Petra Feyer und Franziska Jahn
Die Inzidenz und Schwere der Strahlentherapie-induzierten Nausea und Emesis ist abhängig vom Bestrahlungsregime, der Bestrahlungsregion und von patientenindividuellen Faktoren. Da das Strahlenfeld der wichtigste Risikofaktor für das Auftreten der Strahlentherapie-induzierten Nausea und Emesis zu sein scheint, werden 4 Risikoklassen – hoch, moderat, gering und minimal – je nach bestrahlter Region unterschieden. Ein hohes emetogenes Risiko besteht für Patienten mit Ganzkörperbestrahlungen. Die Bestrahlung des oberen Abdomens und der Brust- oder Lendenwirbelsäule geht mit einem moderaten Risiko einher. Prophylaktisch werden 5-HT3-Rezeptorantagonisten für hoch bis gering emetogene Bestrahlungen eingesetzt, die Gabe von Dexamethason kann bei moderatem Risiko erwogen werden und ist bei hoch emetogenen Bestrahlungen obligat. Bei minimal emetogener Bestrahlung erfolgt keine Routineprophylaxe.

Einleitung

Übelkeit und Erbrechen, die durch die Strahlentherapie verursacht werden, sind meist weniger ausgeprägt als bei aggressiven Chemotherapien. Da eine Bestrahlung aber oft über mehrere Wochen andauert, können die Symptome für Patienten sehr belastend sein. Inzidenz und Schwere der Radiotherapie-induzierten Übelkeit und Erbrechen („radiation-induced nausea and vomiting“, RINV) sind abhängig vom Bestrahlungsregime, der Bestrahlungsregion und von patientenindividuellen Faktoren (Maranzano et al. 2010). Die Leitlinien der MASCC/ESMO und ASCO sind für die Prophylaxe der RINV zielführend.

Inzidenz

Beobachtungsstudien legen eine Inzidenz der Emesis bei Strahlentherapie von ca. 7–28 % nahe, das Auftreten der Nausea liegt mit ca. 40 % deutlich höher. Am häufigsten treten die Symptome bei der Bestrahlung des oberen Abdomens auf, hier wird Nausea sogar von bis zu 66 % der Patienten angegeben (Enblom et al. 2009; Maranzano et al. 2010). Die Italian Group for Antiemetic Research (IGARR) untersuchte die Inzidenz der RINV bei 1020 Patienten, die verschiedene Bestrahlungsregime mit oder ohne gleichzeitiger Chemotherapie erhielten. Übelkeit und Erbrechen wurde von insgesamt 28 % aller Patienten berichtet. Die mittlere Dauer bis zum ersten Erbrechen betrug 3 Tage, und nur 17 % aller Patienten erhielten Antiemetika (Maranzano et al. 2010).

Pathophysiologie

Die Pathophysiologie der RINV ist bislang noch nicht vollständig verstanden. Vermutet wird, dass sie den pathophysiologischen Prozessen der Chemotherapie-induzierten Übelkeit und des Erbrechens ähnelt.
Das Vorhandensein eines anatomisch umschriebenen „Brechzentrums“ im zentralen Nervenzentrum gilt als unwahrscheinlich. Dafür wird ein „central pattern generator“ beschrieben, der Informationen aus der Area postrema (Chemorezeptoren-Triggerzone) und vom Nervus vagus durch den Nucleus tractus solitarius bezieht und die Körperfunktionen, die mit Erbrechen und Übelkeit assoziiert sind, koordiniert. Die beteiligten Neuronen sind über die gesamte Medulla oblongata verteilt.

Vagale Afferenzen des Abdomens

Derzeit wird angenommen, dass der vagale Weg der Hauptmechanismus für die Entstehung akuten Erbrechens durch Chemotherapeutika ist. Auch bei der Bestrahlung des Darms ist die Aktivierung des vagalen Weges wahrscheinlich, doch es fehlen Studien, die diese These bestätigen. An den terminalen Enden der vagalen Afferenz liegen eine Vielzahl von Rezeptoren, einschließlich 5-Hydroxytryptamin (5-HT3), Neurokinin-1 (NK1) und Cholecystokinin-1. Diese Rezeptoren liegen in unmittelbarer Nähe der enterochromaffinen Zellen der gastrointestinalen Mukosa des Dünndarms, die eine Reihe lokaler Botenstoffe, wie 5-HT3, Substanz P und Cholecystokinin enthalten. Nach Bestrahlung oder Gabe von Zytostatika wird Serotonin (5-HT) aus den enterochromaffinen Zellen der Dünndarmmukosa freigesetzt und aktiviert an den vagalen Afferenzen über 5-HT3-Rezeptoren eine emetische Reaktion, die durch die Chemorezeptoren-Triggerzone der Area postrema vermittelt wird. Außerdem leitet der Vagusnerv die sensorischen Informationen an den Nucleus tractus solitarii weiter, der mit dem central pattern generator interagiert.
Hingegen scheint verzögertes Erbrechen vornehmlich zentralnervös zu entstehen.

Risikoklassifizierung der Radiotherapie-induzierten Übelkeit und des Erbrechens

Der führende Risikofaktor für das Auftreten von Nausea und Emesis ist die Strahlentherapie selbst. Häufigkeit und Schwere der RINV sind daher zunächst abhängig von der Art und Weise der Strahlentherapie Zu den behandlungsbedingten Risikofaktoren zählen:
  • Lokalisation der Strahlentherapie
  • Strahlentherapievolumen
  • Einzel- und Gesamtdosis sowie Fraktionierungen
  • Strahlentherapietechnik
Patientenbezogene Risikofaktoren wurden bislang vor allem retrospektiv aus Studien erhoben. Sie entsprechen weitestgehend den individuellen Risikofaktoren der Chemotherapie- induzierten Nausea und Emesis und beschreiben ein erhöhtes Risiko bei weiblichem Geschlecht, jüngerem Lebensalter und schlechterem Gesundheitszustand. Zudem werden gleichzeitig oder kürzlich verabreichte Chemotherapie, fortgeschrittenes Tumorstadium und Übelkeit und/oder Erbrechen bei vorhergehender Behandlung als patientenbezogene Risikofaktoren benannt. Bislang sind – aufgrund fehlender prospektiver Studien – patientenbezogene Risikofaktoren noch nicht Bestandteil des prophylaktischen Behandlungsalgorithmus.
Der wichtigste behandlungsbedingte Risikofaktor scheint das Strahlenfeld zu sein, das Grundlage der Emetogenitätsbewertung der Radiotherapie ist und auch in nationalen und internationalen Leitlinien (S3-Leitlinie Supportive Therapie, Multinational Association of Supportive Care in Cancer [MASCC], European Society for Medical Oncology [ESMO] und American Society of Clinical Oncology [ASCO]) empfohlen wird (Leitlinienprogramm Onkologie 2020; Roila et al. 2016; Hesketh et al. 2017). Bei der Beurteilung wird das Risiko Strahlentherapie-induzierter Emesis in die vier Kategorien hoch, moderat, gering und minimal unterteilt (Tab. 1). Die Risikoklassifizierung basiert auf Informationen klinischer Studien und Expertenmeinungen und lässt die weiteren Risikofaktoren wie die Strahlendosis, Fraktionierung oder Bestrahlungstechnik unberücksichtigt.
Tab. 1
Emetogenes Potenzial der Strahlentherapie
Emesis Risiko
Bestrahlte Körperregion
Hoch
Ganzkörperbestrahlung
Moderat
Oberes Abdomen, Brust-/Lendenwirbelsäule, Neuroachse in Abhängigkeit der Technik
Gering
Becken, Hirnschädel, HNO, Thorax
Minimal
Extremitäten, Brust
Dosimetriedaten, die bei der Planung der Bestrahlung erhoben werden, sollten hinsichtlich ihres Emetogenitätsrisikos untersucht werden. So gelten die Strahlendosis und das Volumen bei Bestrahlung des Dünndarms als Prädiktoren der RINV (Maranzano et al. 2010), wie auch die Strahlendosis bei der Bestrahlung der Medulla oblongata, des Hirnstamms und von Bereichen des zentralen emetischen Signalweges. Die intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT), die inzwischen bei Kopf-Hals-Tumoren, thorakalen Tumoren und abdominalen Tumoren und anderen Tumorentitäten die erste Wahl ist, reduziert die Toxizität, indem die Strahlendosen auf gesundes Gewebe in der Nähe des Tumors minimiert werden. Dennoch können nicht betroffene Gewebe – wie der Hirnstamm – klinisch signifikante Strahlendosen erhalten, die zu Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen führen (Ciura et al. 2011). Bei Patienten, die gleichzeitig eine Chemotherapie erhalten, sollten sich die antiemetische Prophylaxe und die Therapie an der Behandlungsart mit dem jeweils höchsten emetogenen Risiko orientieren. Dazu sollten auch die Leitlinien zu Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen berücksichtigt werden.

Antiemetika für RINV und simultane Chemotherapie

Einen zusammenfassenden Überblick über die verschiedenen Antiemetika und ihre Dosierung gibt Tab. 2, weitere Informationen sind dem Kap. „Leitlinien in der antiemetischen Prophylaxe und Therapie – Medikamentöse Tumortherapie“ zu entnehmen.
Tab. 2
Überblick über die hauptsächlich verwendeten Antiemetika (Roila et al. 2016; Hesketh et al. 2017)
Medikament
Applikation
Empfohlene tägliche Dosis
5-HT3-Rezeptorantagonisten
Granisetron
p.o./i.v.
2 mg/1 mg
Ondansetron
p.o./i.v.
16 mg p.o./8 mg i.v. (0,15 mg/kg KG)
Palonosetron
p.o./i.v.
0,50 mg/0,25 mg
Steroide
Dexamethason*
p.o./i.v.
12 mg an Tag 1 bei hoch emetogener medikamentöser Tumortherapie; 8 mg an Tag 2–3 bei hoch emetogener medikamentöser Tumortherapie; 4–8 mg bei moderater und geringer medikamentöser Tumortherapie; 4 mg (Fraktion 1–5) bei hoch und moderater Strahlentherapie
NK1-Rezeptorantagonisten
Aprepitant
p.o.
125 mg an Tag 1; 80 mg an Tag 2 und 3
Fosaprepitant
i.v.
150 mg nur an Tag 1 (i.v.)
Netupitant
p.o.
300 mg Netupitant/0,5 mg Palonosetron (an Tag 1), orales Kombinationspräparat
Fosnetupitant
i.v.
235 mg Netupitant, 0,25 mg Palonosetron (an Tag 1), intravenöses Kombinationspräparat
Olanzapin
p.o.
5–10 mg, 2–3 Tage
i.v. intravenös, p.o. oral
*Einmalige Einnahme morgens empfohlen

5-HT3-Rezeptorantagonisten

Mit Einführung der 5-HT3-Rezeptorantagonisten (5-HT3-RA) gelang der erste große Durchbruch in der Behandlung des Chemotherapie-induzierten Erbrechens. In randomisierten Studien wurden 5 verschiedene 5-HT3-RA untersucht (Dolasetron, Granisetron, Ondansetron, Palonosetron und Tropisetron), wobei Dolasetron in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht verfügbar ist und der Vertrieb von Tropisetron mittlerweile eingestellt wurde. Es liegen jedoch keine Vergleichsstudien der einzelnen Wirkstoffe vor, und es gibt keine ausreichenden Daten, um optimale Dosen und Behandlungspläne zu definieren (Salvo et al. 2012). In einer Studie konnte Palonosetron bei Patientinnen mit Zervixkarzinom und Radiochemotherapie mit wöchentlicher Gabe von Cisplatin erfolgreich eingesetzt werden (Ruhlmann et al. 2013). In einer Metaanalyse wurden 9 Studien mit 5-HT3-RA gegen Placebo analysiert. In Bezug auf das Bestrahlungsfeld wurden folgende Studien eingeschlossen: oberes Abdomen (n = 2), Abdomen ohne genaue Angabe (n = 4), obere Lendenwirbelsäule (n = 1), Bauch und Becken (n = 2). Zusammenfassend litten in der 5-HT3-RA-Gruppe im Vergleich zur Placebogruppe weniger Patienten unter Erbrechen (40 % vs. 57 %; relatives Risiko [RR]: 0,7; 95 %-Konfidenzintervall [KI]: 0,57–0,86). Trotz antiemetischer Prophylaxe entwickelten die meisten Patienten jedoch eine Radiotherapie-induzierte Übelkeit (70 % vs. 83 %; RR: 0,84; 95 %-KI: 0,73–0,96).
5-HT3-RA haben eine wesentlich stärkere Schutzwirkung gegen RINV als Metoclopramid, Phenothiazine oder Placebo (Priestman et al. 1990, 1993; Bey et al. 1996; Franzen et al. 1996; Aass et al. 1997; Lanciano et al. 2001). Mögliche Nebenwirkungen der 5-HT3-RA sind Kopfschmerzen und Obstipation, die im Allgemeinen als mild einzustufen sind.
Bei der Wahl der Dosis des 5-HT3-RA sind die folgenden Punkte zu berücksichtigen:
  • Die niedrigste Dosis ist ausreichend: Sind die Rezeptoren gesättigt, ist auch durch eine höhere Dosis die Wirksamkeit nicht zu erhöhen.
  • Orale oder intravenöse Gabe ist gleichermaßen wirksam.
  • Die Gabe einer Einzeldosis vor Beginn der Behandlung ist die beste Prophylaxe.
Die empfohlenen Dosen gemäß internationaler Leitlinien und Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen (CINV) sind ebenfalls in Tab. 2 zusammengefasst bzw. im Kap. „Leitlinien in der antiemetischen Prophylaxe und Therapie – Medikamentöse Tumortherapie“ zu finden.

Kortikosteroide

Kortikosteroide sind ein wesentlicher Bestandteil der antiemetischen Prophylaxe und Therapie. In Kombination mit anderen Antiemetika haben sie einen Boostereffekt und erhöhen die emetische Schwelle. Dexamethason ist das am häufigsten verwendete Mittel dieser Klasse, obwohl es keine Studien gibt, die belegen, dass es anderen Steroiden überlegen ist. Eine randomisierte Studie zeigte, dass Dexamethason bei Patienten mit Bestrahlung des Oberbauchs antiemetisch signifikant wirksamer ist als ein Placebo (Kirkbride et al. 2000). Die Kombination von Kortikosteroiden mit einem 5-HT3-RA wurde in einer Studie mit 211 Patienten und Bestrahlung des oberen Abdomens untersucht, bei der die 5-tägige Gabe von Dexamethason plus Ondansetron mit der Gabe von Placebo plus Ondansetron verglichen wurde (Wong et al. 2006). Während der ersten 5 Tage war ein statistisch nicht signifikanter Trend hin zur kompletten Kontrolle der Übelkeit (50 % vs. 38 % mit Placebo) und des Erbrechens (78 % vs. 71 % mit Placebo), dem primären Endpunkt der Studie, zu verzeichnen. Die Wirkung von Dexamethason erstreckte sich über den ausgewählten Beobachtungszeitraum von 5 Tagen, signifikant mehr Patienten hatten während der gesamten Bestrahlungsdauer eine komplette Kontrolle der Emesis (23 % vs. 12 % mit Placebo, sekundärer Studienendpunkt). Auch wenn diese Studie hinsichtlich des primären Endpunkts Nausea keine statistische Signifikanz erreichte, legen die Ergebnisse die Vermutung nahe, dass die zusätzliche Gabe von Dexamethason von Vorteil ist.
Da das Erbrechen zu Beginn der Behandlung häufiger auftritt, ist die prophylaktische Gabe von Antiemetika für den gesamten Verlauf der Bestrahlung möglicherweise nicht erforderlich, und die Einnahme in der ersten Woche könnte ausreichend sein. Steroide gelten in der Regel als sicheres Antiemetikum, wobei die Nebenwirkungen von der Dosis und der Therapiedauer abhängig sind. In einer Studie berichteten Patienten, die aufgrund verzögerter CINV mit Steroiden behandelt wurden, über Probleme mit Schlaflosigkeit (45 %), epigastrischen Beschwerden (27 %), Unruhe (27 %), erhöhtem Appetit (19 %), Gewichtszunahme (16 %) und Akne (15 %) (Vardy et al. 2006).

Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten

Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten (NK1-RA) sind in der Therapie der Chemotherapie-induzierten Übelkeit und Erbrechen von wesentlicher Bedeutung, bei der Behandlung der RINV allerdings noch unzureichend untersucht. Eine Ausnahme sind Patienten, die begleitend zur Strahlentherapie eine Chemotherapie erhalten. In einer doppelt-verblindeten und randomisierten Studie zur fraktionierten Strahlentherapie und gleichzeitiger Gabe von Cisplatin (GAND-Emesis-Study) bei Patientinnen mit Gebärmutterhalskrebs (n = 234) konnte gezeigt werden, dass Patientinnen, die zusätzlich zu Palonosetron und Dexamethason Fosaprepitant erhielten, weniger unter Übelkeit und Erbrechen litten, als Patientinnen, die keinen NK1-RA erhielten (Ruhlmann et al. 2016). Aus diesem Grund wird bei simultaner Radiochemotherapie mit Cisplatin die Gabe eines NK1-RA klar empfohlen. Empfehlungen zur Dosierungen von NK1-RA sind auch in Tab. 2 angegeben, sie gelten jedoch nur für die prophylaktische Behandlung der CINV (s. auch Kap. „Leitlinien in der antiemetischen Prophylaxe und Therapie – Medikamentöse Tumortherapie“).
In der GAND-Studie zur simultanen Radiochemotherapie wurde Fosaprepitant vor der wöchentlichen Gabe von Cisplatin verabreicht, ein für die Radiochemotherapie geeignetes Regime. Die Nebenwirkungen, die unter Gabe von Fosaprepitant, 5-HT3-RA und Dexamethason beobachtet werden können, sind ähnlich derer, die bei alleiniger Gabe von 5-HT3-RA und Dexamethason auftreten: Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Schwäche, Fatigue und Diarrhö. Der NK1-RA Aprepitant führt häufiger zu Schluckauf.

Andere Medikamente

Ältere, weniger spezifische Antiemetika wie Prochlorperazin, Metoclopramid und Cannabinoide haben eine geringere Wirksamkeit bei der Prophylaxe und der Behandlung der RINV, obwohl sie bei Patienten mit milderen Symptomen hilfreich sein können (Roila et al. 1996). Eine Übersicht über verfügbare Medikamente und ihren Wirkmechanismus ist im Kap. „Leitlinien in der antiemetischen Prophylaxe und Therapie – Medikamentöse Tumortherapie“ zu finden.
Das atypische Neuroleptikum Olanzapin wurde in einer randomisierten Studie (n = 101) bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Kopf-Hals Tumoren oder Ösophaguskarzinom untersucht. Die Patienten erhielten in Woche 1 und 5 an 4 Tagen Cisplatin und 5-Fluorouracil (5-FU) und simultane Bestrahlung (Kopf- Hals-Tumoren: 70 Gy Gesamtdosis; Ösophagustumoren: 60 Gy Gesamtdosis; 5 Tage pro Woche für 6 bzw. 7 Wochen) und zusätzlich entweder Olanzapin (10 mg) oder Fosaprepitant (150 mg) in Kombination mit Palonosetron und Dexamethason jeweils am ersten Tag des Chemotherapieblockes der ersten und fünften Woche. Die Gesamtansprechrate war für beide Therapien ähnlich, bezüglich der verzögerten Übelkeit und des Erbrechens war das Olanzapinregime dem Fosaprepitantregime jedoch überlegen (p < 0,01). Patienten, die Olanzapin erhielten, berichteten an Tag 2 signifikant häufiger von Müdigkeit, sonst gab es keine Gruppenunterschiede in Bezug auf die Nebenwirkungen (Navari et al. 2016). Olanzapin ist als atypisches Neuroleptikum zugelassen, die Verwendung als Antiemetikum ist als Off-Label-Use zu betrachten.

Prävention und Behandlung des RINV

Antiemetische Prophylaxe

Zur Prävention und Behandlung des RINV ist es erforderlich, das emetogene Risiko der Strahlentherapie zu kennen. Die Leitlinien der MASCC/ESMO (Roila et al. 2016) sind in Tab. 3 zusammengefasst.
Tab. 3
Zusammenfassung der antiemetischen Prophylaxe bei Bestrahlung
Emesis Risiko
Bestrahlte Körperregion
Antiemetische Prophylaxe
Hoch
Ganzkörperbestrahlung
5-HT3-RA und Dexamethason
Moderat
Oberes Abdomen, Brust-/Lendenwirbelsäule, Neuroachse in Abhängigkeit der Technik
5-HT3-RA und Dexamethason; „kann“ für Dexamethason
Gering
Becken, Hirnschädel, HNO
5-HT3-RA oder Rescue-Therapie
Minimal
Extremitäten, Brust
Keine Routineprophylaxe
5-HT3-RA 5-HT3-Rezeptorantagonist
Für Patienten mit einem hohen RINV-Risiko wird die Prophylaxe mit einem 5-HT3-RA empfohlen. Basierend auf Daten von Patienten mit hoch emetogener Chemotherapie wird auch bei hoch emetogener Strahlentherapie die Zugabe von Dexamethason zum 5-HT3-RA vorgeschlagen. Es liegen keine klinischen Vergleichsdaten zur Gabe eines NK1-RA bei RINV vor. Bei Patienten, die eine simultane Radiochemotherapie mit Cisplatin erhalten, sollte die Gabe eines NK1-RA zu Setron und Dexamethason allerdings standardmäßig erfolgen.
Bei Patienten, die eine moderat emetogene Strahlentherapie erhalten, sollte die Prophylaxe der RINV mit einem 5-HT3-RA erfolgen. Optional ist die kurzzeitige Gabe von Dexamethason angemessen und wird empfohlen (in der Regel für 5 Fraktionen bei Normofraktionierung).
Für Patienten, die ein geringes Risiko haben, RINV zu erleiden, wird ein 5-HT3-RA zur Rescue-Therapie empfohlen.
Bei Patienten mit einem minimalen RINV-Risiko sollte keine routinemäßige antiemetische Prophylaxe erfolgen.
Zur Therapie der RINV wird Dexamethason, ein Dopamin-Rezeptorantagonist oder 5-HT3-RA empfohlen. Für Patienten, die simultane Radiochemotherapie erhalten, richtet sich die Risikoklassifizierung entweder nach dem Risiko der Chemotherapie oder der Radiotherapie, je nachdem welches Risiko höher ist.

Dauer der Prophylaxe

Die Entscheidung, ob bei einer fraktionierten Bestrahlung die Behandlung mit 5-HT3-RA bei Normofraktionierung nach der ersten Behandlungswoche fortgesetzt werden sollte, ist nicht eindeutig zu treffen. In randomisierten Studien wurden 5-HT3-RA sowohl für längere Zeiträume (Priestman et al. 1993; Franzen et al. 1996) oder lediglich für die ersten 5 Behandlungen angewandt (Wong et al. 2006). Für einen direkten Vergleich der beiden Therapieansätze gibt es keine randomisierten Studien.

Rescue-Therapie

Die Gabe eines 5-HT3-RA wird bei Auftreten von Übelkeit und Erbrechen empfohlen, jedoch existieren keine Studien, die speziell vor dem Hintergrund der Rescue-Situation durchgeführt wurden (LeBourgeois et al. 1999; Maranzano et al. 2005; Mystakidou et al. 2006). In zukünftigen Studien muss die Bedeutung von Rescue-Antiemetika bei Patienten mit niedrigem oder minimalem RINV-Risiko weiter untersucht werden. Auch die sich abzeichnende Rolle von Olanzapin bei „Breakthrough“-CINV ist bei der RINV noch nicht untersucht wurden (Navari 2014), obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass die Gabe von Olanzapin auch in diesem Setting von Vorteil ist.

Fazit

In den letzten 30 Jahren haben sich die Bereiche der CINV und RINV durch die Einführung neuer antineoplastischer Substanzen, neuer Strahlentherapietechniken und moderner Antiemetika erheblich gewandelt. Chemo- und Radiotherapie-induziertes Erbrechen sind dank neuer Medikamente wesentlich seltener geworden. Allerdings leiden immer noch 20–30 % aller Patienten an diesen Nebenwirkungen, die teilweise therapierefraktär sind. Häufig ist eine die Patienten belastende, andauernde Übelkeit. Es sollte eine optimierte Kontrolle von Nausea und Emesis mit einem leitliniengerechten Vorgehen in Prophylaxe und Therapie für CINV und RINV erfolgen.
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