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Humangenetische Beratung bei erblichen Darmkrebssyndromen

Verfasst von: Verena Steinke-Lange
Erbliche Darmkrebssyndrome sind in der Bevölkerung deutlich häufiger als früher angenommen, mindestens eine von 500 Personen ist davon betroffen. Es ist wichtig, diese Patienten zu identifizieren, da die zukünftige klinische Versorgung sowohl des Patienten als auch seiner Angehörigen entscheidend von der Diagnose abhängt. Für die einzelnen Syndrome gibt es spezifische Früherkennungsprogramme, die darauf abzielen, die jeweils assoziierten Tumoren frühzeitig zu erkennen bzw. durch die Entfernung von Vorstufen zu verhindern. Eine adäquate Risikoeinschätzung und entsprechende Vorsorge sind jedoch nur möglich, wenn die Diagnose bei dem Patienten gesichert wurde. Die humangenetische Beratung von Patienten mit Verdacht auf erblichen Darmkrebs hat zum Ziel, die klinischen Befunde der Patienten und die Familienanamnese einzuschätzen, bei entsprechender Indikation eine weiterführende molekulargenetische Diagnostik zu bahnen und eine diagnostische Einordnung im Kontext aller Befunde durchzuführen. Die Einbeziehung und Information des Patienten, die eine informierte Entscheidung erlauben, stehen dabei im Mittelpunkt.

Erbliche Darmkrebssyndrome

Bei den meisten Darmkrebserkrankungen handelt es sich um sogenannte sporadische Tumorerkrankungen, die durch ein Zusammenspiel äußerer Faktoren (wie eine ungünstige Lebensführung) und schwacher genetischer Risikofaktoren, die nur ansatzweise bekannt sind, entstehen. Bei etwa 3 % aller Darmkrebspatienten liegt jedoch ein monogen erbliches Tumorsyndrom zugrunde, das durch eine von Geburt an vorliegende genetische Veränderung (pathogene Variante) verursacht wird, die das Auftreten von Darmkrebs und ggf. weiteren Tumorerkrankungen begünstigt. Patienten mit einem erblichen Tumorsyndrom erkranken deshalb häufiger und in der Regel auch jünger an Darmkrebs als Patienten mit einem sporadischen Tumor, meist findet sich zudem eine familiäre Häufung von Tumoren. Es gibt eine ganze Reihe erblicher Tumorsyndrome, in deren Rahmen ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs bestehen kann.

Hereditäres nicht-polypöses Kolonkarzinom (HNPCC)/Lynch-Syndrom

Das HNPCC/Lynch-Syndrom ist mit einer geschätzten Häufigkeit von 1:500 in der Bevölkerung das mit Abstand häufigste erbliche Darmkrebssyndrom. Abhängig vom ursächlichen Gen besteht ein Risiko von bis zu 50 %, im Lauf des Lebens an Darmkrebs zu erkranken (Møller et al. 2015).
Entgegen früherer Annahmen, die zu der Bezeichnung hereditäres nicht-polypöses Kolonkarzinom (HNPCC) geführt haben, treten auch bei diesen Patienten gegenüber der Allgemeinbevölkerung vermehrt kolorektale Adenome auf, sodass die klinische Abgrenzung von den Polyposiserkrankungen nicht immer einfach ist. Inzwischen ist international die Bezeichnung Lynch-Syndrom deutlich gebräuchlicher.
Neben dem erhöhten Darmkrebsrisiko besteht auch ein deutlich erhöhtes Risiko für weitere Tumorerkrankungen, insbesondere Endometriumkarzinome, aber auch Karzinome des Magens, des Dünndarms, der Harnleiter und Nierenbecken, des Ovars, des Pankreas sowie bestimmte Hauttumoren (vor allem Talgdrüsentumoren und Keratoakanthome).
Ursächlich sind pathogene Varianten in den DNA-Reparaturgenen MLH1, MSH2, MSH6 und PMS2 sowie im EPCAM-Gen, die autosomal-dominant vererbt werden. Bei einem Ausfall des zweiten Allels in einer Zelle aufgrund einer somatischen Mutation kommt es zu einer fehlerhaften DNA-Reparatur, die das Auftreten weiterer Mutation und somit die Tumorentstehung begünstigt. Zeichen der gestörten DNA-Reparatur finden sich meist im Tumorgewebe im Sinne eines Ausfalls eines oder zweier DNA-Reparaturproteine in der immunhistochemischen Färbung.
Zusätzlich zeigt sich eine Längenveränderung repetitiver DNA-Bereiche (sogenannter Mikrosatelliten), die als Mikrosatelliteninstabilität bezeichnet wird. Diese Veränderungen finden sich allerdings nicht nur bei HNPCC/Lynch-Syndrom-assoziierten Tumoren, sondern auch in 10–15 % aller sporadischen Kolonkarzinome bzw. 15–20 % aller sporadischen Endometriumkarzinome. Der Nachweis dieser Veränderungen beweist somit nicht das Vorliegen des genannten Syndroms, dies kann erst durch die molekulargenetische Diagnostik mit Nachweis einer entsprechenden Keimbahnvariante gelingen.
Zusätzlich gibt es Veränderungen im Tumorgewebe (insbesondere die BRAF-Mutation V600E und eine Methylierung des MLH1-Promotors), die eher gegen das Vorliegen eines HNPCC/Lynch-Syndroms sprechen. Eine sinnvolle Einschätzung der Befunde ist allerdings nur im Kontext aller klinischen und genetischen Befunde des Patienten und der Familienanamnese möglich.

Adenomatöse Polyposiserkrankungen

Gegenüber dem HNPCC/Lynch-Syndrom sind die erblichen Polyposissyndrome deutlich seltener, imponieren aber meist durch ihren auffälligen Phänotyp. Die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) ist mit einer Frequenz von etwa 1:10.000 in der Bevölkerung noch die häufigste Erkrankung.
Bei den Betroffenen finden sich in der Regel bereits ab dem Jugendalter Hunderte bis Tausende von kolorektalen tubulären Adenomen. Es gibt allerdings auch mildere Verlaufsformen (attenuierte FAP), die mit einem späteren Beginn und weniger Polypen im Darm einhergehen. Zusätzlich zeigen die Betroffenen unter anderem auch Adenome im Duodenum sowie Drüsenkörperzysten im Magen.
Das klinische Bild einer MUTYH-assoziierten Polyposis (MAP), die im Gegensatz zu FAP autosomal-rezessiv vererbt wird, kann das klinische Bild einer attenuierten FAP imitieren, sodass sie eine wichtige Differenzialdiagnose darstellt.
In den letzten Jahren wurden auch weitere Gene beschrieben (insbesondere POLD1, POLE, NTHL1 und MSH3), die eine adenomatöse Polyposis verursachen können und ggf. auch mit weiteren assoziierten Tumorrisiken einhergehen. Für die molekulargenetische Diagnostik stehen entsprechende Genpanels zur Verfügung, die die häufigsten ursächlichen Gene beinhalten. Eine diagnostische Zuordnung durch den Nachweis einer ursächlichen Veränderung erlaubt eine Einschätzung des Wiederholungsrisikos für die Angehörigen.

Hamartomatöse und gemischte Polyposissyndrome

Von den hamartomatösen Polyposissyndromen wurde lange Zeit angenommen, dass sie klinisch insbesondere durch den Nachweis spezifischer Polypen (beispielsweise die für das Peutz-Jeghers-Syndrom typischen Peutz-Jeghers-Polypen) im Magen-Darm-Trakt auffallen. Durch die breitere Anwendung der genetischen Diagnostik und den Nachweis von ursächlichen Mutationen auch bei Patienten mit nicht klassischen Krankheitsverläufen zeigt sich jedoch zunehmend, dass das Spektrum dieser Erkrankungen deutlich größer ist als angenommen.
So finden sich neben den typischen Polypen häufig auch andere Polypenformen, zum Teil sind gar keine der namensgebenden Polypen vorhanden. Beispielsweise weisen Patient mit einer juvenilen Polyposis, für die juvenile Polypen typisch sind, häufig auch Polypen anderer Histologien im Darm auf. Erschwerend kommt hinzu, dass insbesondere juvenile Polypen histopathologisch häufig nicht sicher einzuordnen sind. Da gerade bei einer juvenilen Polyposis auch Gefäßfehlbildungen i. S. eines Morbus Osler bestehen können, die entsprechende Vorsorgeuntersuchungen notwendig machen, und bei anderen Polyposissyndromen (Peutz-Jeghers-Syndrom und Cowden-Syndrom) ein erhöhtes Risiko für extraintestinale Tumoren (insbesondere Brustkrebs) besteht, ist eine diagnostische Einordnung der Befunde zu einem Krankheitsbild sehr sinnvoll. Allein aufgrund der klinischen Befunde ist die diagnostische Zuordnung jedoch häufig schwierig (ein Beispiel hierfür zeigt Abb. 1).
Auch hier erfolgt die genetische Diagnostik über Genpanels, welche die für die hamartomatösen bzw. gemischten erblichen Polyposissyndrome ursächlichen genetischen Veränderungen enthalten. Eine Ausnahme bildet hier die serratierte Polyposis, bei der eine Neigung zu serratierten Polypen (insbesondere hyperplastischen Polypen und sessilserratierten Adenomen) im Darm besteht, verbunden mit einem erhöhten Darmkrebsrisiko. Die Patienten sind meist Einzelfälle, nur selten finden sich weitere betroffene Angehörige. Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die MUTYH-assoziierte Polyposis, bei der die Betroffenen ebenfalls serratierte Polypen aufweisen können. Bei einzelnen Patienten mit einer serratierten Polyposis wurden auch Veränderungen im RNF43-Gen gefunden, deren ursächlicher Zusammenhang aktuell jedoch nicht abschließend geklärt ist.

Ablauf und Ziel der humangenetischen Beratung

Eine humangenetischeBeratung ist in erster Linie ein ärztliches Gespräch, das der diagnostischen Einordnung, informierten Entscheidungsfindung und Bahnung der diagnostischen Abklärung dient. Sie wird durch Fachärzte für Humangenetik und andere Ärzte mit entsprechender Zusatzqualifikation durchgeführt und kann bei einer familiären Tumorhäufung sowohl von betroffenen als auch von gesunden Ratsuchenden in Anspruch genommen werden.
Im Rahmen der Beratung wird zunächst die Eigen- und Familienanamnese des Ratsuchenden erhoben, wobei insbesondere die bei ihm selbst und in seiner Familie aufgetretenen Tumorerkrankungen einschließlich Erkrankungsalter dokumentiert werden. Auch die Erhebung von Zahl, Lage und histologischem Typ der ggf. vorliegenden Polypen ist für die diagnostische Zuordnung unabdingbar. Da erbliche Tumorsyndrome in der Bevölkerung keine Seltenheit darstellen, ist es sinnvoll, für die Einordnung des Erkrankungsrisikos beide Familienzweige aufzunehmen.
Gegebenenfalls ist auch eine ergänzende klinische Untersuchung des Patienten (insbesondere bezüglich Hautauffälligkeiten oder anderen Nebenbefunden der bekannten Polyposissyndrome) sinnvoll.
Anhand der erhobenen Daten erfolgt eine diagnostische Einschätzung durch den beratenden Arzt sowie, sofern indiziert, eine Empfehlung für das weitere diagnostische Vorgehen. Nicht immer ist eine initiale genetische Analyse des Ratsuchenden selbst sinnvoll. Gegebenenfalls wird auch zunächst eine diagnostische Abklärung bei einem Angehörigen empfohlen, beispielsweise wenn der Ratsuchende selbst nicht an einem Tumor erkrankt ist und betroffene Angehörige für eine Diagnostik zur Verfügung stehen. Der Patient erhält zudem umfassende Informationen zum jeweiligen Krankheitsbild einschließlich der assoziierten Tumorrisiken, des Wiederholungsrisikos für weitere Angehörige und der ggf. geltenden Empfehlungen für die Früherkennung.
Alle Beratungsinhalte und Ergebnisse der ggf. durchgeführten Untersuchungen werden in einem für den Patienten verständlich gehaltenen Arztbrief zusammengefasst, der nachrichtlich auch an die behandelnden Ärzte geht.

Indikationen zur humangenetischen Diagnostik bezüglich erblichem Darmkrebs

Eine humangenetische Beratung sollte erwogen werden, wenn der klinische Verdacht auf eine erbliche Darmkrebserkrankung besteht, insbesondere bei
  • Darmkrebserkrankung unter dem Alter von 50 Jahren
  • Mindestens zwei Darmkrebserkrankungen bei einem Patienten
  • Mindestens drei Darmkrebserkrankungen oder anderen assoziierten Tumoren in einer Familie
  • Auffälligen Polypenbefunden (aufgrund des Erkrankungsalters, der histologischen Art oder der Polypenzahl)
  • Gesichertem Vorliegen eines erblichen Tumorsyndroms in der Familie

Molekulargenetische Diagnostik

Die molekulargenetische Diagnostik dient der Sicherung der klinischen (Verdachts-)Diagnose durch den Nachweis der ursächlichen genetischen Veränderung und ermöglicht eine prädiktive (vorhersagende) Testung der Familienangehörigen. Nichtanlageträger können hierdurch entlastet und aus der engmaschigen Vorsorge entlassen werden. Vor Durchführung einer genetischen Untersuchung muss eine schriftliche Einwilligung entsprechend Gendiagnostikgesetz (GenDG) eingeholt werden. Eine diagnostische Untersuchung kann bei entsprechendem klinischen Verdacht durch jeden Arzt veranlasst werden. Eine prädiktive Untersuchung soll nach GenDG im Rahmen einer humangenetischen Beratung erfolgen und bei Erkrankungen, die erst im Erwachsenenalter auftreten, auch erst dann angeboten werden. Eine Ausnahme stellen Erkrankungen wie die klassische FAP dar, bei der die Vorsorge bereits im Kindesalter beginnt. In diesem Fall kann eine prädiktive Diagnostik im Rahmen einer humangenetischen Beratung auch bereits im Kindesalter durchgeführt werden.
Aufgrund der großen phänotypischen Überschneidungen zwischen den verschiedenen erblichen Darmkrebssyndromen erfolgt die molekulargenetische Diagnostik inzwischen meist über Genpanels, welche die für die entsprechende Gruppe von Krankheitsbildern (z. B. adenomatöse Polyposis) ursächlichen Gene enthalten.
Der fehlende Nachweis einer ursächlichen Veränderung in der genetischen Diagnostik schließt eine klinische Diagnose jedoch nicht aus, da mit den derzeit zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten nicht alle ursächlichen Veränderungen gefunden werden können. So ist beim Nachweis hunderter Adenome im Dickdarm weiterhin vom Vorliegen einer adenomatösen Polyposis auszugehen, auch wenn keine ursächliche Mutation nachgewiesen wurde. Bei einigen Syndromen finden sich auch Neumutationen, die in der Keimbahn der Eltern oder in der embryonalen Entwicklung der betroffenen Person neu entstanden sind. Diese Mutationen betreffen ggf. auch nur einen Teil der Körperzellen (somatisches Mosaik), sodass sie im Blut des Patienten nicht immer nachweisbar sind. Dies ist beispielsweise für APC-Mutationen, die eine FAP verursachen, beschrieben (Ciavarella et al. 2018).
Ein großes Problem in der molekulargenetischen Diagnostik stellen zudem unklare genetische Varianten da, deren funktionelle Relevanz derzeit nicht geklärt werden kann, sodass aktuell keine sichere Einschätzung möglich ist, ob es sich um eine krankheitsverursachende Veränderung handelt oder nicht. Eine prädiktive Testung oder Empfehlung prophylaktischer Operationen erfolgt bei unklaren Sequenzvarianten nicht.

Konsequenzen der Diagnose eines erblichen Darmkrebssyndroms

Bei Nachweis eines erblichen Tumorsyndroms ist davon auszugehen, dass bei dem Patienten auch nach der Therapie des aktuellen Tumors weiterhin ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs und ggf. andere assoziierte Tumoren besteht. Angepasst an das jeweilige Tumorspektrum und Erkrankungsrisiko gibt es für die häufigen erblichen Darmkrebssyndrome bereits etablierte Früherkennungsprogramme, die den Patienten selbst und ggf. ihren Angehörigen empfohlen werden. Hierdurch sollen mögliche weitere Tumoren frühzeitig erkannt und somit bestmöglich behandelt bzw. durch die Abtragung von Vorstufen (meist Polypen) verhindert werden.
Bei einigen erblichen Darmkrebssyndromen werden zudem prophylaktische Operationen mit dem Ziel der Risikoreduktion empfohlen. In erster Linie ist hier die FAP zu nennen, bei der entsprechend der S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom eine prophylaktische Kolektomie erfolgt, sobald eine koloskopische Entfernung der Polypen nicht mehr möglich ist. Für Patientinnen mit einem gesicherten HNPCC/Lynch-Syndrom wird in der S3-Leitlinie Endometriumkarzinom auf die Möglichkeit einer prophylaktischen Hysterektomie hingewiesen, eine Empfehlung zur erweiterten Kolektomie bei kolorektalen Karzinomen wird in den S3-Leitlinien nicht ausgesprochen.
Für eine Chemoprävention gibt es in den Leitlinien aktuell keine Empfehlungen bei den erblichen Darmkrebssyndromen. Es ist in Studien erwiesen, dass die regelmäßige Einnahme von Aspirin das Darmkrebsrisiko bei Patienten mit einem HNPCC/Lynch-Syndrom senken kann (Burn et al. 2011). Die Studien zur Definition der therapeutischen Dosis werden allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Es gibt starke Hinweise darauf, dass bei Patienten mit einer adenomatösen Polyposis durch die Einnahme von Sulindac und/oder Eflornithin eine Reduktion der Polypenlast erreicht werden kann, weshalb für diese Therapie eine Orphan-Designation der European Medicines Agency ausgesprochen wurde. In Deutschland sind diese Präparate allerdings derzeit nicht zugelassen, entsprechende Studien laufen.
Die Diagnosestellung ermöglicht auch eine Einschätzung des Wiederholungsrisikos für Angehörige. Die meisten erblichen Darmkrebssyndrome werden autosomal-dominant vererbt, sodass es bereits ausreicht, wenn eine der beiden Genkopien (Allele) des entsprechenden ursächlichen Gens bei einer Person krankheitsursächlich verändert ist, um das erhöhte Tumorrisiko auszulösen. Kinder und Geschwister von Betroffenen haben in der Regel ein Risiko von 50 %, ebenfalls die ursächliche genetische Veränderung und damit das erhöhte Tumorrisiko zu tragen. Einige der erblichen Polyposissyndrome folgen jedoch dem autosomal-rezessiven Erbgang, bei dem das erhöhte Tumorrisiko nur dann besteht, wenn beide Allele pathogen verändert sind. Geschwister der Patienten haben dann ein Risiko von 25 %, ebenfalls betroffen zu sein. Kinder der Betroffenen sind in jedem Fall heterozygote Anlageträger einer veränderten Genkopie. Die Erkrankung tritt jedoch nur dann auf, wenn auch vom anderen Elternteil eine entsprechende genetische Veränderung im selben Gen vererbt wurde.

Klinische Versorgung von Patienten mit erblichem Darmkrebs

Für die häufigeren erblichen Darmkrebssyndrome gibt es inzwischen Leitlinienempfehlungen für die klinische Versorgung der Patienten, für die selteneren Syndrome ist das nach wie vor nicht der Fall. Hinzu kommt, dass die bestehenden Leitlinien häufig nicht dem aktuellen Wissensstand entsprechen, sondern erst mit zeitlicher Verzögerung angepasst werden. Es ist deshalb sinnvoll, Patienten mit erblichen Darmkrebserkrankungen an ein spezialisiertes Zentrum mit klinischer Expertise auf diesem Bereich anzubinden. Hierzu gehören insbesondere die Zentren des Deutschen Konsortiums Familiärer Darmkrebs (früher Deutsches HNPCC-Konsortium), die sich auch wissenschaftlich in diesem Feld betätigen. Langfristig sollen über das 2017 neu gegründete Europäische Referenznetzwerk für erbliche Tumorerkrankungen (ERN GENTURIS) europaweite Leitlinien für die Versorgung dieser Patienten geschaffen werden. Aus Deutschland sind inzwischen sechs Zentren an diesem Netzwerk beteiligt. Die aktuellen Empfehlungen werden auf der Homepage des Europäischen Referenznetzwerkes veröffentlicht (www.genturis.eu).
Literatur
Burn J, Gerdes A-M, Macrae F et al (2011) Long-term effect of aspirin on cancer risk in carriers of hereditary colorectal cancer: an analysis from the CAPP2 randomised controlled trial. Lancet Lond Engl 378:2081–2087. https://​doi.​org/​10.​1016/​S0140-6736(11)61049-0CrossRef
Ciavarella M, Miccoli S, Prossomariti A et al (2018) Somatic APC mosaicism and oligogenic inheritance in genetically unsolved colorectal adenomatous polyposis patients. Eur J Hum Genet EJHG. https://​doi.​org/​10.​1038/​s41431-017-0086-y
Møller P, Seppälä T, Bernstein I et al (2015) Cancer incidence and survival in Lynch syndrome patients receiving colonoscopic and gynaecological surveillance: first report from the prospective Lynch syndrome database. Gut. https://​doi.​org/​10.​1136/​gutjnl-2015-309675