Indikationen
Durch die Geburtseinleitung wird der natürliche Verlauf der Schwangerschaft beeinflusst. Die Indikation für diese Intervention sollte daher stets kritisch gestellt werden. In der Tab.
1 sind die gängigsten Indikationen dargestellt. Nicht alle dieser Indikationen zur Geburtseinleitung sind zu jedem Zeitpunkt in der Schwangerschaft evidenzbasiert und sollten oftmals nur unter bestimmten Voraussetzungen empfohlen werden.
Tab. 1
Übersicht der häufigsten Indikationen zur Geburtseinleitung
Terminüberschreitung |
Oligohydramnion |
Vorzeitiger Blasensprung |
|
Hypertensive Schwangerschaftserkrankung |
Verdacht auf fetale Makrosomie/LGA-Fetus |
|
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Wunsch |
In der größten randomisiert-kontrollierten Studie war die Rate an neonataler
Sepsis bei der sofortigen Entbindung im Vergleich zum exspektativen Management gleich (Morris et al.
2016). Jedoch war die Rate an Atemstörungen mit erforderlicher Atemunterstützung sowie die Rate an Kaiserschnitten bei sofortiger Indikation zur Entbindung höher. Zum gleichen Ergebnis kam eine später durchgeführte Cochrane-Metaanalyse (12 RCT, 3617 Frauen, 3628 Kinder) (Bond et al.
2017): kein Unterschied der Sepsis-Rate, aber mehr Atemnotsyndrome (RR 1,26) und Kaiserschnitte (RR 1,26), wenn die Schwangerschaft früher beendet wurde.
Die Qualität der zur Verfügung stehenden Studien ist nicht gut. Dennoch scheinen die Vorteile einer Geburtseinleitung zu überwiegen. In einem systematischen Review war ein aktives Management, eine Geburtseinleitung, mit einem kürzeren Intervall bis zur Geburt (−10 h, 95 % CI −12 bis −8 h), einer geringeren Rate an „Amnioninfektionssyndrom“ und/oder Endometritis (RR 0,49, 95 % CI 0,33–0,72), weniger Verlegungen in die Kinderklinik oder auf die neonatale Intensivstation (RR 0,75, 95 % CI 0,66–0,85) sowie einer nicht-signifikanten Reduktion der Raten an neonataler
Sepsis (early onset neonatal sepsis) (RR 0,57, 95 % CI 0,24–1,33) und
perinataler Mortalität (RR 0,47, 95 % CI 0,13–1,66) assoziiert (Middleton et al.
2017).
Es fehlen gute prospektive randomisiert-kontrollierte Studien, die einen Zusammenhang mit einem intrauterinen Fruchttod belegen. Dies zeigt beispielsweise der „GINEXMAL Trial“, eine multizentrische RCT, die eine Geburtseinleitung zwischen 38 und 39 SSW mit einem exspektativen Management verglichen hat (Alberico et al.
2017): Es ist die größte Untersuchung zu diesem Thema, obwohl die Studie die vorgesehene Fallzahl nicht erreicht hat. Es konnten keine Unterschiede im Geburtsmodus und mütterlichem Outcome gefunden werden, jedoch war die Rate an neonataler
Hyperbilirubinämie in der Einleitung-Gruppe höher.
Auch die Ergebnisse einer anderen Studie (Geburtseinleitung 38 SSW versus ab 40 SSW, (Worda et al.
2017)) zeigten eine erhöhte Morbidität (
Hypoglykämie) bei früherer Beendigung der Schwangerschaft.
Die Verwendung der AFI-Methode führt im Vergleich zur SDP-Methode häufiger zur Diagnose eines Oligohydramnions und damit zur Geburtseinleitung (Kehl et al.
2016a; Magann et al.
2007a; Nabhan und Abdelmoula
2009).
Zur Beurteilung der Fruchtwassermenge soll die SDP-Methode verwendet und bei einem maximalen Depot von < 2 cm ein Oligohydramnion diagnostiziert werden.
Mögliche Ursachen eines Oligohydramnions (
PPROM/PROM, Plazentainsuffizienz, strukturelle/chromosomale Anomalien) müssen ausgeschlossen werden. Wenn lediglich ein isoliertes Oligohydramnion vorliegt, scheint sich das Risiko für Komplikationen nicht von einer normalen Fruchtwassermenge zu unterscheiden (Karahanoglu et al.
2016; Rabie et al.
2017). Daher sollte vor allem vor 37 + 0 SSW (höhere neonatale Morbidität!) keine routinemäßige Beendigung der Schwangerschaft aufgrund eines isolierten Oligohydramnions erfolgen (Melamed et al.
2011). Auch nach 37 + 0 SSW ist eine routinemäßige Beendigung der Schwangerschaft aufgrund eines isolierten Oligohydramnions kritisch zu sehen (Naveiro-Fuentes et al.
2016). Auch wenn es keine eindeutige Evidenz gibt, sollte ab 39 + 0 SSW bei einem isolierten Oligohydramnion die Indikation zur Beendigung der Schwangerschaft großzügiger gestellt werden.
In retrospektiven Kohortenstudien fand man eine Assoziation eines isolierten Polyhydramnions mit verschiedenen Komplikationen wie eine höhere Kaiserschnittrate, Plazentalösung, fetale Makrosomie, Mortalität und sonstigen peripartalen Komplikationen (Crimmins et al.
2018; Magann et al.
2007b). Das individuelle Risiko kann jedoch nicht genau vorhergesagt werden (Morris et al.
2014).
Intrauterine Fruchttode
traten bei Einlingsgraviditäten mit
ICP im Median um 38 + 0 SSW und bei Geminigraviditäten bereits vor 37 + 0 SSW auf (Williamson et al.
2004). In einer retrospektiven Kohortenstudie (2005 bis 2008, 1,5 Mio. Entbindungen) war die
perinatale Mortalität in der Gruppe, in der die Schwangerschaft früher beendet wurde, niedriger (4,7 versus 19,2 pro 10.000 Frauen). Die Höhe der Gallensäurekonzentration ist ein prädiktiver Marker für Totgeburt und neonatale Komplikationen. Bisherige Grenzwerte von 40 μmol/l konnten in neueren Studien nicht bestätigt werden; entsprechend der besten verfügbaren Evidenz gilt ein Gallensäurewert von > 100 μmol/L als sinnvollster
Cut-Off-Wert für ein signifikant erhöhtes Fruchttodrisiko (Ovadia et al.
2019).
Die Geburtseinleitung auf Wunsch ohne medizinischen Grund sollte nicht vor 39 + 0 SSW durchgeführt werden.
In der randomisiert-kontrollierten ARRIVE-Studie wurden 6106 Schwangere in den USA eingeschlossen – und eine Geburtseinleitung ab 39 + 0 SSW bei Erstgebärenden ohne Risikofaktoren mit einem abwartenden Management verglichen (Grobman et al.
2018). Der primäre Zielparameter (Zusammensetzung aus perinatalem Tod und schweren neonatalen Komplikationen) unterschied sich nicht. Die Rate an Kaiserschnitten war aber in der Geburtseinleitungsgruppe signifikant geringer (18,6 % versus 22,2 %, RR 0,84, CI 0,76–0,93). Diese Resultate fanden sich auch in nachfolgenden, neuen
Metaanalysen, wobei diese Ergebnisse durch die große Anzahl der eingeschlossenen Frauen in der ARRIVE-Studie maßgeblich beeinflusst werden (Saccone et al.
2019; Sotiriadis et al.
2019).
Maßnahmen vor einer Geburtseinleitung
Die Geburtseinleitung ist eine medizinische Intervention, weshalb zuerst eine sorgfältige Aufklärung und Beratung mit einer individuellen Risiko-Nutzen-Analyse
durchgeführt werden muss. Hierbei sind die in der Tab.
2 genannten Punkte zu berücksichtigen:
Tab. 2
Inhalt der Aufklärung und Beratung
Indikation und weitere Optionen |
Information über die Erfolgsaussichten der Geburtseinleitung: - Günstige Faktoren: - Reifer Zervixbefund - Z. n. vorangegangenen Spontangeburten - Vorzeitiger Blasensprung - Ungünstige Faktoren - Erstgebärende - Niedriges Gestationsalter |
Zeitrahmen und mögliche Verläufe |
Verschiedene Methoden der Geburtseinleitung mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen |
Zur Vorhersage des Einleitungserfolges ist vor allem der „Reifegrad“ des Gebärmutterhalses entscheidend. Dieser wird anhand des Bishop-Scores (Tab.
3) bestimmt. Die sonografische Bestimmung der Zervixlänge ergab keinen Vorteil zum Bishop-Score
, und die Bestimmung von Biomarkern wie Fibronektin wird in der Routine nicht empfohlen.
Position der Portio | sakral | mediosakral | median | - |
Portiolänge | > 2 cm | 1–2 cm | 0,5–1 cm | < 0,5 cm |
Portiokonsistenz | derb | mittel | weich | - |
Muttermunderöffnung (cm) | 0 | 1–2 cm | 3–4 cm | > 4 cm |
Höhe des vorangehenden Teils | −3 | −2 | −1/0 | + 1/+ 2 |
Bishop-Score < 6 = unreifer Befund; ≥ 6 = reifer Befund |
Manche Methoden zur Geburtseinleitung sind nur in bestimmten Situationen zugelassen, weshalb die jeweiligen Zulassungssituationen und Kontraindikationen bekannt sein sollten. Bei ausreichend vorliegender Evidenz kann ein Verfahren – auch wenn es hierfür nicht zugelassen ist – angewendet werden. Dies erfordert aber eine sachgerechte Aufklärung und Zustimmung der Patientin.
Insbesondere vor einer medikamentösen Geburtseinleitung ist eine Kardiotokografie (
CTG) zum Ausschluss von regelmäßigen Wehen und zur Beurteilung des kindlichen Zustands durchzuführen, da Oxytocin und
Prostaglandine bei (regelmäßiger) Wehentätigkeit zu einer Überstimulation mit Beeinträchtigung des kindlichen Zustands führen können.
Medikamentöse Geburtseinleitung
Oxytocin sollte nicht zur Geburtseinleitung bei einem unreifen Zervixbefund (insbesondere bei Erstgebärenden) verwendet werden. Im Vergleich zu anderen Verfahren (Ballonkatheter, Dinoproston, Misoprostol) ist die Verwendung von Oxytocin mit einer höheren Rate an Kaiserschnitten und längeren Einleitung-Geburt-Intervallen assoziiert (Jozwiak et al.
2012; Alfirevic et al.
2009,
2014; Hofmeyr et al.
2010).
Bis vor kurzem musste bei der Verwendung von Misoprostol über den Off-Label-Use aufgeklärt werden. Seit dem 01.09.2021 ist das zugelassene orale Misoprostol-Präparat Angusta® auch in Deutschland auf dem Markt erhältlich. Es wurde für folgende Schemata bei einer Tagesmaximaldosis von 200 μg zugelassen:
-
25 μg alle 2 h
-
50 μg alle 4 h.
In den zahlreichen, zur Verfügung stehenden Studien wurden verschiedene Dosierungen untersucht und verglichen. Eine höhere Dosierung zeigte eine bessere Effektivität, jedoch ging sie auch mit einer höheren Rate an Überstimulationen einher (McMaster et al.
2015; Alfirevic et al.
2016b). Die orale Applikation ist der vaginalen Applikation aufgrund eines günstigeren Nebenwirkungsprofil vorzuziehen (Hofmeyr et al.
2010). Eine häufig in diesen Studien untersuchte Nebenwirkung ist die Überstimulation. In der größten
Metaanalyse zu diesem Thema (611 untersuchte Studien mit 31 verschiedenen Interventionen) wurde gezeigt, dass höhere Dosierungen (≥ 50 μg) zwar zu einer höheren Rate an Überstimulationen führen kann, dies aber nicht mit einem schlechteren Outcome einhergeht (Alfirevic et al.
2016b): die Rate an Verlegungen in die Kinderklinik unterschied sich nicht signifikant (OR 2,85, 95 % CI 1,41–5,20 und OR 0,83, 95 % CI 0,55–1,20).
Besondere Situationen der Geburtseinleitung
Die Geburtseinleitung bei mütterlicher
Adipositas ist vor allem bei Erstgebärenden mit einer höheren Rate an frustranen Geburtseinleitungen und erforderlichen Kaiserschnitten assoziiert (Dammer et al.
2018). Als günstig erwiesen sich sequenzielle Einleitungsverfahren (Roloff et al.
2015; Hill et al.
2015), idealerweise mit dem Prostaglandin-E1-Analogon Misoprostol (Kehl et al.
2019; Lassiter et al.
2016).
Wenn bei fehlerhafter Poleinstellung eine Indikation zur Beendigung der Schwangerschaft vorliegt, kann auch bei Beckenendlage
eine Geburtseinleitung erfolgen (Kotaska et al.
2019). Das Risiko für Mutter und Kind ist hierbei nicht erhöht (Sun et al.
2018).
Die optimale Schwangerschaftsdauer ist bei Geminigravidität
geringer als bei einer Einlingsgravidität, weshalb es indiziert sein kann, die Schwangerschaft früher zu beenden (Breathnach et al.
2012). Ein wesentlicher Faktor ist Chorionizität. Bei monochorialer-diamnialer Geminigravidität soll die Schwangerschaft ab 36 + 0 SSW und bei dichorialer ab 37 + 0 SSW beendet werden.
Die Wahl der Einleitungsmethode unterscheidet sich nicht zwischen fetaler Schädel- und Beckenlage respektive Einlings- und Geminigravidität.
Der Wunsch einer ambulanten Geburtseinleitung
ist bei vielen Frauen vorhanden – und kann deren Zufriedenheit erhöhen (Biem et al.
2003; Kruit et al.
2016). Aufgrund der möglichen Komplikationen sollten Verfahren verwendet werden, die ein geringes Risiko haben. Daher wurden in den letzten Jahren vor allem Studien mit Ballonkathetern zur Geburtseinleitung im ambulanten Setting durchgeführt (Ten Eikelder et al.
2016b; Diederen et al.
2018). Eine medikamentöse Geburtseinleitung sollte aber unter stationären Bedingungen erfolgen.
Zustand nach Sectio caesarea
Die Geburtseinleitung nach vorangegangenem Kaiserschnitt („Z. n.
Sectio caesarea“) stellt hohe Anforderungen an die Aufklärung und Beratung. Die Indikation zur Geburtseinleitung muss kritisch gestellt werden. Günstige Faktoren für einen vaginalen Entbindungsversuch (z. B. bereits erfolgte vaginale Geburten) müssen ebenso wie ungünstige (z. B. Indikation zur Sectio caesarea war ein Geburtsstillstand) berücksichtigt werden (Sentilhes et al.
2013; Landon et al.
2005). Das individuelle Risiko für eine
Uterusruptur mit den potenziellen Folgen für Mutter und Kind muss dargestellt werden und es muss darauf hingewiesen werden, dass das relative Risiko hierfür durch die Geburtseinleitung erhöht wird (Kehl et al.
2021; Landon et al.
2004).
Bei der Wahl des Einleitungsverfahrens bei Z. n.
Sectio caesarea müssen die individuellen Risiken der verschiedenen Verfahren für eine
Uterusruptur berücksichtigt werden. Bei einem reifen Zervixbefund (Bishop-Score ≥ 6) ist die Amniotomie und Oxytocin-Gabe eine risikoarme Methode (Landon et al.
2004). Bei einem unreifen Zervixbefund (Bishop-Score < 6) sollten mechanische Verfahren (Ballonkatheter, hygroskopische Dilatatoren) favorisiert werden, da diese kein relevantes Uterusruptur-Risiko besitzen. Dinoproston hat sich als das Prostaglandin der Wahl gezeigt. Die Gabe von Misoprostol nach vorheriger Sectio caesarea ist obsolet.
In einer aktuellen
Metaanalyse wurde die
Prävalenz einer
Uterusruptur unter Dinoproston zur Geburtseinleitung bei Frauen mit Z. n.
Sectio caesarea und ohne vorherigen Kaiserschnitt untersucht (Chiossi et al.
2021). Es wurden insgesamt 69 Studien eingeschlossen. Eine Uterusruptur trat nach vorheriger Sectio caesarea bei 2–9 pro 1000 Frauen (0,2–0,9 %) auf. Bei Frauen ohne vorherigen Kaiserschnitt lag das Risiko für eine Uterusruptur bei 0,7/100.000. Die Verwendung von Dinoproston zur Geburtseinleitung kann daher als sicheres Verfahren angesehen werden. Das Uterusruptur-Risiko ist bei Frauen mit Z. n. Sectio caesarea geringer als in früheren Studien berichtet.