Leider gibt es keine ausreichend großen prospektiven Studien, in denen die Testgüte von Screeninguntersuchungen auf andere, seltenere Chromosomenanomalien untersucht wurde. Eine solche Studie würde eine genetische Untersuchung aller Neugeborenen, Totgeburten und Schwangerschaftsabbrüche erfordern. Zudem müsste sichergestellt werden, dass dieser Test die entsprechende Chromosomenstörung auch erkennen könnte, wie z. B. eine Exom-Analyse. Da jede dieser Chromosomenanomalien selten ist, würde eine solche Studie außerdem eine sehr große Anzahl von Teilnehmerinnen erfordern.
Daher sind alle Studien zu diesem Thema mit Vorsicht zu beurteilen.
Nackentransparenz
Bardi et al. haben sich mit dem Outcome von 1901 Schwangerschaften mit einer fetalen NT über der 95. Perzentile auseinandergesetzt (Bardi et al.
2020). Der
Karyotyp war in 560 (29,5 %) Fällen auffällig. Bei 456 (23,9 %) wurde eine
Trisomie 21, 18 oder 13 gefunden, bei 104 (5,4 %) lag eine andere Chromosomenstörung vor. Einzelgen-Erkrankungen oder Auffälligkeiten, die nur mittels Microarray-Analyse erkannt werden können, wurden in jeweils 38 (2,0 %) Fällen gefunden. Strukturelle Fehlbildungen, die keinen Zusammenhang mit genetischen Erkrankungen hatten, fanden sich in 178 (9,3 %) der Fälle. Aus den Angaben wird deutlich, dass mit ansteigender Nackentransparenz ein höherer Anteil an Fehlbildungen zu finden ist und dass das Spektrum der Chromosomenstörungen sich hin zu Auffälligkeiten verschiebt, die nicht mittels cfDNA-Analyse erkannt werden können.
Daher sollte in diesen Fällen eine Punktion diskutiert werden. Der Schwellenwert, ab wann man eine Chorionzottenbiopsie oder eine Fruchtwasserpunktion empfehlen sollte, wird kontrovers diskutiert (siehe unten). Unstrittig ist, dass wenn strukturelle Fehlbildungen darstellbar sein, immer eine invasive Diagnostik angeboten werden sollte (Kozlowski et al.
2019b).
Des Weiteren muss die angestrebte genetische Analyse
thematisiert werden. Die klassische zytogenetische Karyotypisierung
ist in diesen Fällen aufgrund des geringen
Auflösungsvermögens häufig nicht ausreichend, sodass auf eine Microarray
- und/oder auf eine Exom-Analyse
zurückgegriffen werden muss.
Für die isolierte NT-Erhöhung, das heißt eine Erhöhung der NT ohne weitere Fehlbildungen, werden mehrere Schwellenwerte diskutiert. Hier werden Schwellenwerte von 3,0 mm, 3,5 mm oder auch der 95. Perzentile genannt, ab wann eine genetische Abklärung erfolgen sollte. Bisher wurde von den meisten Studiengruppen die 99. Perzentile, das heißt 3,5 mm als Grenzwert verwendet.
Hui et al. untersuchten in einer großen retrospektiven Studie die Häufigkeit der NT-Erhöhung über 3,0 mm und über der 99. Perzentile in den USA. Unter 81.244 Schwangerschaften fanden sich 0,6 % mit einer NT von und über 3,5 mm und in 0,66 % eine NT von 3,0 bis 3,4 mm (Hui et al.
2021). Die Rate an atypischen Chromosomenstörungen, die nur mittels Microarray-Analyse erkannt wurden, lag bei 2,1 % für den NT-Bereich zwischen 3,0 und 3,4 mm und bei 21,5 % für höhere Werte. Die Studiendaten erlaubten keinen Ausschluss der Feten mit Fehlbildungen neben der erhöhten NT.
Maya et al. führten eine ähnliche Studie durch, beschränkten sich aber auf Feten mit einer isolierten NT-Erhöhung (Maya et al.
2017): Die Autoren empfahlen, die Microarray-Analyse ab einer NT von 3,0 mm durchzuführen, wenn keine zusätzlichen Fehlbildungen vorliegen. Sie verglichen den Anteil pathogener Mutationen in 3 Gruppen: unter 3,0 mm (n = 462), bei 3,0–3,4 mm (n = 170) und über 3,4 mm (n = 138). Der Anteil an Chromosomenstörungen stieg von 1,7 % auf 6,5 und 13,8 %. Pathogene Mutationen, die nur mittels Mikroarray-Analyse und nicht per
Zytogenetik oder per cfDNA-Analyse erkannt werden konnten, wurden in 0,9 %, 1,8 % und 2,2 % der Fälle gefunden.
Die Studienlage hat dazu geführt, dass beispielsweise das American College of Obstetricians and Gynecologists die Microarray-Analyse ab 3,0 mm empfiehlt (Screening for Fetal Chromosomal Abnormalities
2020).
Mellis et al. untersuchten, ob bei isolierter NT-Erhöhung eine
Exom-Sequenzierung angebracht wäre (Mellis et al.
2021). Dabei wurden 213 Feten mit einer NT über 3,5 mm in die Studie aufgenommen, bei denen die Karyotypisierung und die Microarray-Analyse unauffällig waren. Bei 54 Feten fanden sich zusätzliche strukturelle Fehlbildungen. Diese wurden separat ausgewertet. Der Anteil an diagnostischen Varianten, die mittels Exom-Analyse erkannt wurden, lag bei 22,2 %. Am häufigsten wurde dabei das Noonan-Syndrom
diagnostiziert. Bei 37 Feten wurde zunächst eine isolierte NT-Erhöhung angenommen, im Verlauf der Schwangerschaft zeigten sich aber weitere Fehlbildungen. Der Anteil an Chromosomenstörungen lag in diesem Kollektiv bei 32,4 %. Bei 111 Feten blieb die NT-Erhöhung isoliert, 2 (1,8 %) Feten hatten in dieser Gruppe eine Auffälligkeit, die nur mittels Exom-Analyse erkannt werden konnte. Ein Fet hatte eine uniparenterale Disomie 15 und der andere eine Mutation im RERE-Gen.
Spätestens ab einer Nackentransparenz von 3,5 mm oder bei Fehlbildungen sollte keine cfDNA-Analyse erfolgen, sondern stattdessen eine Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese zur Abklärung angeboten werden.
Die relevanten Komponenten des kombinierten ETS zur Detektion struktureller Fehlbildungen sind die Nackentransparenz und die zusätzlichen Ultraschallmarker Ductus-venosus- und Trikuspidalklappenfluss. Die Effektivität einer detaillierten anatomischen Untersuchung wird später beschrieben.
Der Zusammenhang zwischen erhöhter NT und der Häufigkeit von strukturellen Fehlbildungen
ist seit langem bekannt. Baer et al. untersuchten NT-Messungen bei fast 76.000 Patienten, von denen 1379 eine Fehlbildung hatten (Baer et al.
2014). Das Risiko stieg um das 1,6- bzw. 3,1-Fache bei einer NT über der 95. bzw. 99. Perzentile. Grande et al. untersuchten die Effektivität der NT in einer Kohorte von 13.700 normalen Schwangerschaften, darunter 439 Feten mit nichtgenetischen strukturellen Anomalien (Grande et al.
2012). Die Entdeckungsrate einer fetalen NT von 3,5 mm oder mehr betrug 23 %. In der Kohorte der Studie von Syngelaki et al. mit 1720 Feten mit strukturellen Anomalien lag die Entdeckungsrate einer NT über dem 95. Perzentile bei 12 % (Syngelaki et al.
2019). Bardi et al. berichteten über einen Anstieg der
Prävalenz von strukturellen Anomalien um 5,9 %, bei einer NT zwischen der 95. und 99. Perzentile (Bardi et al.
2019,
2020). Das Spektrum der strukturellen Anomalien und nichtgenetischen Syndrome, die mit einer erhöhten NT einhergehen, ist vielfältig und wurde von Souka et al. zusammengefasst (Souka et al.
2005).
Der Zusammenhang zwischen angeborenen Herzfehlern
und einer erhöhten NT ist gut dokumentiert. Minnella et al. beobachteten, dass 37 % der Feten mit einem Herzfehler eine
Nackentransparenzmessung über der 95. Perzentile aufwiesen (Minnella et al.
2020). Chelemen et al. wiesen nach, dass das Risiko von Herzfehlern mit zunehmenden Nackentransparenzwerten von 2 % bei einer NT zwischen 3,5 und 4,4 mm auf mehr als 10 % bei Werten über 5,5 mm ansteigt (Chelemen et al.
2011).
Serummarker
In den DEGUM-Empfehlungen ist aufgeführt, dass bei einer Unterschreitung eines unteren Schwellenwertes von 0,2 MoM (PAPP-A oder freies beta-hCG) oder bei Überschreiten von 5,0 MoM (nur beta-hCG) eine diagnostische Punktion empfohlen werden sollte. Gleichzeitig sollte für diese Gruppe auch eine Mikroarray-Analyse erwogen werden (Kozlowski et al.
2019b).
Grundlage für diese Empfehlung sind Studien aus Dänemark, in denen das Risiko für andere, „atypische“ Chromosomenstörungen (nicht
Trisomie 21, 18 und 13) bei starken Abweichungen bei den Serumwerten beurteilt wurde (Tørring et al.
2015; Petersen et al.
2014). Petersen et al. untersuchten dabei fast 200.000 Schwangerschaften, 1122 Feten hatten eine Chromosomenstörung, 262 (23,4 %) dieser Fälle wären durch ein alleiniges NIPT-Screening nicht erkannt worden (Petersen et al.
2014).
Hieraus wird ersichtlich, dass insbesondere die sehr niedrigen Serumwerte auf andere Chromosomenstörungen hinweisen können, 0,5 % und 0,1 % der Schwangerschaften hatten einen PAPP-A-Wert bzw. beta-hCG-Wert unter 0,2 MoM. In den beiden Gruppen fanden sich 21,4 % bzw. 56,6 % Chromosomenstörungen. In der Gruppe der niedrigen PAPP-A-Werte waren 23,5 % atypische Befunde zu finden und in der beta-hCG-Gruppe 37,2 %.
Wijngaard et al. verwiesen ebenfalls auf die Bedeutung der Serumwerte (Wijngaard et al.
2021). Die Arbeit umfasste 877 Schwangerschaften, die mithilfe einer Mikroarray-Analyse untersucht wurden und bei denen die Ergebnisse des kombinierten ETS vorlagen. Das Risiko stieg um das 2,6 bzw. 2,2-Fache bei beta-hCG-Werten von unter 0,37 MoM bzw. einer NT über 3,5 mm.
Bei sehr niedrigen Serumwerten unter 0,2 MoM sollte eine Chorionzottenbiopsie oder eine Amniozentese angeboten werden. Die Mikroarray-Analyse sollte ebenfalls diskutiert werden.
Ultraschallparameter
Die Beurteilung der Trikuspidalinsuffizienz
(TR) und des Ductus venosus
(DV) mittels des gepulsten Dopplers kann das Screening auf Herzfehler weiter verbessern. In der Studie von Minnella et al., in die 211 Feten mit einem Herzfehler einbezogen wurden, lagen in 28–29 % der Fälle eine Trikuspidalklappenregurgitation und ein Rückfluss im Ductus venosus vor (Minnella et al.
2020). Eine erhöhte NT über der 95. Perzentile, eine Trikuspidalregurgitation oder ein abnormaler Fluss im Ductus venosus lagen bei 55 % der betroffenen Feten vor, für eine Falsch-Positivrate von 8,8 %. Wagner et al. untersuchten die Wellenform des DV-Flusses bei normalen Feten und Feten mit Herzfehler (Wagner et al.
2019). Wenn das Verhältnis zwischen der A- und der S-Welle anstelle der PIV verwendet wird, kann die Erkennungsrate um weitere 8 % erhöht werden.
Interessanterweise sind auch biochemische Marker wie das PLGF und das freie beta-hCG bei Feten mit Herzfehlern verändert (Fantasia et al.
2018). Diese Marker werden jedoch derzeit nicht im Routine-Screening auf strukturelle Defekte verwendet.
Die Detektion von strukturellen Fehlbildungen, insbesondere eines Herzfehlers, kann durch die Nackentransparenz und die herznahen Zusatzparameter DV und TR verbessert werden.